Schwarze Heimkehr
Mannes schien die Giftschlange so harmlos wie diese Hand zu sein.« Er hielt sie hoch, und das Sonnenlicht verstärkte das metallische Blau. »Und wunderschön. Ihre Haut hat fantastische Farben. Aber es wäre ein Fehler, davon auszugehen, daß diese Giftschlangen irgend etwas anderes als tödlich sind.«
Eine Art von Traurigkeit überzog Rafes stattliches Gesicht. »
Compadre
, diese japanischen Techno-Chirurgen wußten mit Sicherheit, was sie taten, als sie dir diese Hand verpaßt haben. Was man damit alles anstellen kann!«
Keiner von ihnen blickte auf den Stummel an Croakers Handgelenk, wo man das Gewinde aus rostfreiem Stahl, die Rillen und Windungen, die winzigen Motoren und die kalibrierten Kabel und Fiberstränge sah. Dieser Anblick war intim wie die Genitalien eines anderen Mannes.
»Ich frage mich«, sagte Rafe, »ob du dich manchmal nackt fühlst ohne deine Hand.«
»Ein bißchen. Sie gehört zu mir wie die aus Fleisch und Blut.« Croaker blickte zur Seite. »Die Sache wird mit jedem Augenblick konkreter. Man hat mir Barbacenas Foto gezeigt. Jetzt ist er eine reale Person und nicht mehr nur ein Name in einer Akte. Wir beide arbeiten daran, seinen Schutzwall zu durchbrechen, und ich weiß, wo er sich in den ersten Minuten nach Mitternacht aufhalten wird.« Er machte eine angeekelte Bewegung mit der Hand. »Das macht mich fertig, Rafe. Bis zu diesem Augenblick habe ich immer raffiniertere Ausflüchte gefunden, mich selbst zu betrügen. Ich habe mich aus Gründen des Selbstschutzes in zwei getrennte Persönlichkeiten aufgespalten und mir eingeredet, daß nicht ich es wäre, der durch das Zielfernrohr des Gewehres blickt und Juan Garcia Barbacena durch das Fadenkreuz ins Visier nimmt. Ich sagte mir, der, der auf den Abzug drückt und ihm den Kopf vom Körper pustet, wäre ein anderer. Aber jetzt ist der Selbstbetrug wie ein Spiegel zerbrochen, und dahinter gibt es nur noch mich.«
Er starrte freudlos auf das blendende Gefunkel der Sonne auf dem Wasser. »Wenn es Mitternacht wird, wird es mein Auge sein, das ihn im Zielfernrohr beobachtet, und mein Finger, der auf den Abzug des Steyr-Gewehres drückt. Es ist meine Entscheidung, diesen winzigen Druck auszuüben. Bis ich den vertrauten Ton mit meinen Ohren höre und den Rückstoß spüre, der von meinem rechten Brustmuskel absorbiert wird.« Er umklammerte seine künstliche Hand so fest, daß seine Finger weiß und blutlos wurden. »Barbacena wird sterben, und Rachel wird ihre Niere bekommen. Ich muß morgen früh aufwachen und mir über den fürchterlichen Preis klar werden, den ich bezahlt habe, um zum Richter über Leben und Tod zu werden.«
»Ich gebe zu, daß der Schmerz, den du jetzt empfindest, nicht gemindert werden kann. Aber die Tat ist es wert,
compadre
, und tief in deinem Inneren weißt du das. Dieser Mann ist bösartig, wenn man daran denkt, was er getan hat und was er tun würde. Dafür verdient er den Tod.« Rafe legte die Hand auf Croakers Schulter. »Und wenn du siehst, wie sich deine Nichte erholt, und das Lächeln auf ihr schönes Gesicht zurückkehrt, werden sich die Zweifel wie ein Regenschauer verziehen.«
Wird es so sein? fragte sich Croaker. Er wünschte, daß er sich da so sicher wäre wie Rafe.
Wie dem auch sei, in einem Punkt hatte Rafe recht. Croaker paßte seine Hand wieder an und schraubte sie auf das stählerne Gewinde am äußeren Rand des stumpfes seines Handgelenkes. Er hantierte an den Knöpfen und verband seine Nerven und Sehnen mit den Leitungen, die durch das biomechanische Innere verliefen. Er dehnte die Finger aus Titan und Polykarbonat, fuhr die Fingernägel aus rostfreiem Stahl aus und wieder ein. Tatsächlich ohne dieses Anhängsel fühlte er sich nicht als ganzer Mensch, ob es nun ein Fluch oder ein Segen war.
Er starrte auf die Skyline von Miami, die immer höher vor ihnen aufragte, während sie auf den Strand zusegelten. Das Sonnenlicht entflammte die Wolkenkratzer und verlieh ihnen die Farbe von Messing. Wie Messing waren auch die Wolkenkratzer von Menschenhand geformt worden. Und Menschenhand hatte auch ihn auf den Amboß aus Käuflichkeit und Betrug gezwungen. Er wurde sich bewußt, daß er letzte Nacht nicht nur wegen des Mordes an dem Killer in der Surfer’s Church Asyl gesucht hatte, sondern wegen des vorsätzlichen, kaltblütig geplanten Mordes, zu dem er sich verpflichtet hatte.
Croaker war in seinem Thunderbird zum Jackson Memorial unterwegs, als er die flackernde Alarmleuchte eines
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