Schwarze Heimkehr
verpassen wollen.« Er zuckte die Achseln. »Irgendwann werde ich mich dort wohl mal wieder blicken lassen.«
»Vielleicht sind sie einfach mit dem zufrieden, was sie haben«, sagte Sonia. »Vielleicht gefällt es Ihnen so, wie es ist.«
Croaker bemerkte sofort, daß dieser Satz mehr als ein Körnchen Wahrheit enthielt. Er nickte und war dankbar, daß sie in diesem Moment bei ihm war.
Er war sich der Eindringlichkeit ihres Blickes bewußt, als sie nacheinander die Fingerspitzen seiner unversehrten rechten Hand berührte. »Ich liebe Hände«, sagte sie. »Sie verraten einem eine Menge und lügen nicht.« Sie verfolgte die Linien seiner Handfläche und betastete die dicke Hornhaut. »Sie haben die starken und fähigen Hände eines Arbeiters.«
»Das liegt daran, daß ich in Hell's Kitchen aufgewachsen bin«, antwortete Croaker. »Das ist ein ziemlich rauher Stadtteil im Westen Manhattans. Dort muß man stahlhart sein, weil einen die Gangster sonst auseinandemehmen.«
»Das kenne ich.« Sie drückte ihren Daumen gegen seinen. »Ich bin im gefährlichsten Teil von Asunción groß geworden.« Ihr Blick verfinsterte sich. »Dort habe ich zwei Dinge gelernt: Man muß dickfellig sein, und man muß geduldig sein. Am schwierigsten ist es, geduldig zu sein. Das scheint kein angeborener menschlicher Charakterzug zu sein, und deshalb ist es so schwer zu lernen, die Geduld zu bewahren.«
Croaker war sprachlos wie ein Teenager beim ersten Rendezvous. Er erinnerte sich an die gemeinsamen Zeiten mit Stone Tree. Einmal hatten sie in einem ruhigen Wasserlauf der Everglades gestanden, die Sonne hatte wie ein ernstes Mädchen am Rand des Horizonts gethront. Ohne daß Croaker eine Bewegung wahrnahm‚ griff Stone Tree ins Wasser und zog einen Barsch hervor. Er nahm ihn aus und spießte die Eingeweide auf einen grünen Zweig. Der Morgen war von einem perlenartigen Licht und dem wohltuenden Geruch des gerösteten Fischs erfüllt. Ein Löffelreiher flog vorüber, dessen unwirkliches Rosa die Sonne mit einem Heiligenschein umgab. Die besten Augenblicke im Leben sind rein und süß, sagte Stone Tree. Momente wie diesen einfangen und im Herzen aufbewahren, mehr braucht ein Mann nicht.
Bevor Croaker wußte, was er tat, küßte er Sonia. Aber nur einen Augenblick, nachdem sich ihre Lippen geöffnet hatten, schreckte er schuldbewußt zurück. »Entschuldigen Sie. Ich wollte das nicht tun.«
Ihre Augen waren weit aufgerissen, die Iris sehr bleich. »Aber ich wollte es.« Sie faßte ihn mit einer Hand am Nacken und zog ihn zärtlich, aber bestimmt an sich, bis sich ihre Lippen berührten. Sonia drängte sich gegen ihn, öffnete die Lippen, und ihre Zungen trafen sich. Er war von ihrem Duft erfüllt, als wäre sie ein Nachtschattengewächs. Das Gefühl stieg ihm zu Kopf, und Croaker atmete schwer. Eine flüchtige Woge der Musik sorgte dafür, daß sein Herz noch schneller schlug.
»Lew?« Eine helle, weibliche Stimme.
Nein, nicht jetzt, dachte er. Kann ich so viel Pech haben, ausgerechnet jetzt einer alten Freundin zu begegnen? Betont zögernd löste er sich aus Sonias Umarmung. Er hielt ihre Hand fest, als er sich umdrehte, um die Frau anzusehen, die durch die Glastür auf die Terrasse der Shark Bar getreten war.
»Hallo‚ Lew.«
Croaker starrte die Frau an, aber sein Verstand funktionierte nicht richtig. »Matty.« Er hatte den Eindruck, als wären seine Gedanken von einem Eisblock eingeschlossen. Sein Magen drohte zu rebellieren.
Matty sah wunderschön und königlich wie eine Prinzessin aus und blickte abwechselnd ihn und Sonia an. Sie trug ein sehr teures Kleid aus schwarzem Jersey und eine mit Diamanten besetzte Kette. Makellos aufgestylt, vermittelte sie den Eindruck, sie wäre gerade aus einem Schönheitssalon gekommen. In ihrem strengen Designerkleid wirkte sie hier völlig fehl am Platz. »Ich weiß, daß es für dich ein Schock sein muß ….«
»Jesus‚ das kamst du laut sagen.«
Matty warf einen schnellen Blick auf Sonia, als wäre sie verwirrt. Dann blickte sie wieder den erstaunten Croaker an. »Es tut mir leid, wenn ich aufdringlich bin, aber ich muß mit dir reden. Ich wollte keine Botschaft am Jachthafen hinterlassen. Die Leute dort haben mir erzählt, daß du irgendwann heute nacht wahrscheinlich hier sein würdest.« Sie war offensichtlich nervös, denn sie stieß die Worte in einem wirren Schwall hervor.
»Du hast doch gesagt, daß du nie wieder mit mir reden wolltest.« Croaker war sich der Tatsache
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