Schwarze Heimkehr
Croaker spürte ein merkwürdiges Pochen in seinem Kopf, während die Erinnerungen zurückkamen. »Daraufhin hat sie gesagt, daß sie nie wieder mit mir sprechen wolle«, erzählte er Sonia. Dann wandte er sich wieder Matty zu. »Bist du nicht glücklich, daß du zurückgekommen bist?«
Ohne ein weiteres Wort zu einer der beiden Frauen zu sagen, ging er zur Glastür, öffnete sie und schritt durch den vollen Club. Er überquerte die Tanzfläche, wo Bennie und Maria engumschlungen tanzten, und trat auf den überfüllten Asphaltparkplatz hinaus.
Es dauerte nicht lange, bis Bennie Milagros die Treppe der Shark Bar hinabgetänzelt kam. Über dem Eingang sah man den Oberkörper eines riesigen, grimmig dreinblickenden Plastikhais, der aus einer Woge imitierter Gischt herausragte. Das Ganze war ziemlich schäbig, aber Roubinnet sagte, daß der Plastikhai ihn jedesmal zum Lachen bringe, wenn er ihn sehe.
Bennie trat zur Seite, um eine Gruppe lateinamerikanischer Geschäftsleute und ihre Frauen vorbeizulassen. Dann schritt er zielbewußt auf den Parkplatz zu, wo Croaker hinter dem Lenkrad seines Thunderbirds saß.
Er setzte sich neben ihn und reichte ihm einen Drink. »Hier, ich denke, den kannst du brauchen.«
Croaker nahm das Glas schweigend entgegen.
Bennie zog eine lange kubanische Zigarre aus seiner Brusttasche und ließ sich mit dem Ritual des Anzündens etwas Zeit. Er roch nach Mescal und männlichem Schweiß. Der schwache Duft von Marias Parfüm umgab ihn wie rosafarbene Wolken einen Engel. Der Zigarrenrauch verschluckte die Gerüche schnell.
»Wenn ich dich so ansehe, glaube ich, daß eine Fledermaus aus der Hölle den Club in einem besseren Zustand verlassen hätte.« Er paffte seine Zigarre und blickte weder Croaker noch sonst etwas Bestimmtes an. »Sonia hat diesen stählernen Blick, du mußt sie also irgendwie aufgeregt haben. Sie ist ganz außer sich. Maria tuschelt mit ihr, und ich habe meine leidenschaftliche Tanzpartnerin verloren. Vielleicht für den Rest der Nacht.« Er blies gemächlich den Rauch aus. »Ach, fast hätte ich es vergessen. Da ist diese scharfe Braut, die alle im Club fragt, wo du hingegangen bist. Mein Wort in Gottes Ohr, sie hat einen verdammt geilen Körper.«
»Die Frau ist meine Schwester, Bennie.«
»Scheiße.« Bennie runzelte düster die Stirn und klemmte sich die Zigarre zwischen die Lippen.
Über ihren Köpfen raschelten die Palmwedel wie ein undisziplinierter Chor in einem Konzert mit dem hohen Quaken der Laubfrösche.
Jemand kam aus dem Club gestürmt und zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.
»Da ist sie ja«, sagte Bennie sanft. Er wartete, bis Croakers Blick seinem begegnete. »Dieses Gefühl schmerzt wie Gift, oder?«
»Es tut mir leid, daß ich dir den Abend verdorben habe, Bennie.«
»Nimm’s nicht so schwer.« Bennie gestikulierte mit seiner Zigarre herum. »Unsere Freundschaft ist wichtiger als ein Abend mit Maria.« Er blies eine aromatische Rauchwolke in die Luft. »Weißt du, woran ich in dem Moment gedacht habe, als der Hai auftauchte, Lewis? Es war nicht so, als ob mein ganzes Leben wie eine Serie von Tarot-Karten an meinem geistigen Auge vorbeigezogen wäre. Nein, ich mußte an meine Schwester denken. Nicht an meinen Vater oder meine Brüder, sondern an meine Schwester.«
Bennie blickte Croaker an. »Rosa ist vor fünf Jahren gestorben, und ich dachte daran, daß mein Vater ihre Leistungen immer, sagen wir: ignoriert hat, sogar dann noch, als sie in Bogota’ die Universität besucht, ihren Abschluß in Wirtschaftswissenschaften gemacht und einen Job bei der Weltbank gefunden hat. Es war nicht so, daß er sie nicht geliebt hätte oder nicht auf seine Art stolz auf sie gewesen wäre. Er hat seine Gefühle einfach nicht gezeigt.«
Die Erinnerungen und das Bedauern trübten Bennies Blick. »Ich mußte also in diesem Moment an Rosa denken.
Die Gleichgültigkeit meines Vaters, das Desinteresse meiner Brüder und meine wohlwollende Vernachlässigung hatten sie verletzt.« Er blickte Croaker an. »Jetzt hat sich irgendwas verändert. Das habe ich dem verfluchten Hai zu verdanken, und ich werde es nie vergessen. Ich vermisse sie und werde nie mehr eine Chance haben, es ihr zu sagen.«
Er beugte sich hinüber, ergriff Croakers rechte Hand und zeigte auf die bläulichen Venen auf seinem Handrücken. »Was ist das?« zischte er. »Blut, Lewis, verdammtes Blut.« Er nickte, als hätte er das Rätsel der Sphinx gelöst. »Wie immer deine Schwester auch ist oder
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