Schwarze Heimkehr
hatte. Vielleicht wurde er einfach verrückt. Wie auch immer, es war spät geworden. Er blickte auf die Uhr.
»Mußt du gehen?« fragte Bennie.
Croaker nickte. »Ja. Ich muß ins Krankenhaus und nach Rachel sehen.«
Sie gingen langsam ins Haus zurück.
»Wo du gerade davon sprichst ….« Bennie unterbrach sich, als sie an der Eingangstür angekommen waren. »Ich habe über deine Nichte nachgedacht.« Er ergriff Croakers Hand und legte etwas hinein.
Es war ein dunkelgrüner Stein von perfekter, ovaler Form, der sich so weich anfühlte, wie das nur möglich ist, wenn ein Stein Jahrhunderte im Wasser gelegen hat.
Croaker blickte auf und sah Bennie an. »Was ist das?«
Bennie ergriff seinen Arm und geleitete ihn durch die Eingangstür in die milde Nacht hinaus. Die Grillen und die Frösche zirpten und quakten leise. Die Geräusche waren beinahe hypnotisch.
»Früher, als ich noch ein kleiner junge war, habe ich gesehen, wie mein Großvater den Arm einer Frau heilte, der durch eine Krankheit verkrüppelt war. Jetzt wirst du fragen, wie so etwas möglich ist.« Er zeigte in die Luft. »Genau wie dieser Baumfrosch, der keine Ahnung von unserem Gespräch hat, hast du keine Ahnung von diesem Heilungsprozeß. Dir fehlt das Bewußtsein des Heilkundigen, und deshalb verstehst du nichts. Was diese Sache betrifft, bist du wie der Frosch da. Für ihn kann unser Gespräch nicht existieren, weil er keine Möglichkeit hat, uns zu verstehen. Aber das heißt doch nicht, daß es nicht existiert, oder?« Croaker nickte.
»Der Zauberstein gehörte meinem Großvater.« Bennies Stimme war so leise, als spräche er in einer Kirche. »Er hat große Kräfte. Leg ihn auf Rachels Brust.« Bennie umschlang Croakers Finger mit seiner Hand, damit sie sich um den Stein schlossen. »Das ist der Stein eines Heilkundigen. Aber weder du noch ich sind Heilkundige. So ist die Energie in dem Stein wahrscheinlich begrenzt. Aber wer weiß, vielleicht kann er irgendwie helfen.«
Croaker hatte den Eindruck, daß der Stein eine Art von Wärme ausstrahlte, aber vielleicht bildete er sich das nur ein. »Ich werde gut darauf aufpassen.«
Bennie blickte ihn fast versonnen an. »Du weißt doch, was sie über die Heilkundigen der Guarani sagen, Lewis. Sie sterben nie. Ihre Macht lebt weiter.«
Bennie begleitete Croaker zu seinem Wagen. Die nächtliche Stille hüllte sie ein. »Hör zu, Lewis«, sagte Bennie, während er die Tür des Thunderbirds aufhielt. »Ich muß dich um einen Gefallen bitten.«
»Was du willst, Kumpel‚«
Bennie nickte. »Ich möchte in zwei Tagen dein Boot chartern.«
Croaker lachte. »Willst du mein Geschäft auf Touren bringen? Um was für einen Gefallen geht’s?«
»Es hat nichts mit Angeln zu tun, Lewis. Ich brauche das Boot für die Nacht.«
Croaker blickte finster drein. »Irgendwelche krummen Sachen, Bennie?«
»Nein, nichts in der Richtung.« Bennie blickte um sich, als fürchtete er, daß die raschelnden Palmen mit Richtmikrofonen ausgestattet wären. »Aber die Sache muß unter uns bleiben. Du darfst es niemandem erzählen, nicht mal den Leuten in deinem Büro. Sie müssen glauben, daß du das Boot selbst benutzt. Okay?«
»Natürlich. Aber du hast doch selbst ein Boot.«
»Für diese Tour ist die Cigarette nicht das richtige Vehikel.« Bennie klopfte ihm auf die Schulter. »Danke‚ Kumpel. Die Sache ist extrem wichtig. Ich kenne sonst niemanden, dem ich vertrauen kann.« Er öffnete die Tür des Thunderbirds weit. »Denk dran. In zwei Tagen.«
»Um wieviel Uhr?«
»Ich hab’ eine Verabredung um Mitternacht. Wir müssen um acht Uhr abends von Islamorada ablegen.«
»Wohin zum Teufel fahren wir, Bennie? Nach Miami oder Kuba?«
Bennie antwortete nicht, sondern legte nur den Zeigefinger auf die Lippen.
Verdammter Geheimniskrämer‚ dachte Croaker. Dann zuckte er in Gedanken die Achseln. Zum Teufel. Wofür hatte man denn Freunde?
»Bennie.« Er nahm ihn spontan in die Arme. »Ob es Rachel hilft oder nicht, ich danke dir für den Zauberstein deines Großvaters.«
4
Es war nach neun Uhr. Croaker hatte neunzig Minuten gebraucht, um zum Royal-Poinciana-Krankenhaus in Palm Beach zurückzufahren.
Matty schlief, als er eintraf. Die Schwestern im Dialysezentrum hatten ihr ein Bett in einem der nicht besetzten Krankenzimmer überlassen. Croaker schlich auf Zehenspitzen um sie herum und machte sich auf den Weg zu seiner Nichte. Er fragte die diensthabende Schwester nach Rachels Zustand. Sie berichtete, daß er
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