Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Heimkehr

Schwarze Heimkehr

Titel: Schwarze Heimkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric van Lustbader
Vom Netzwerk:
REM-Schlafphase. Sie schien im Wachzustand zu träumen.
    Ohne darüber nachzudenken, drückte Croaker ihr den Zauberstein gegen die Kehle und hörte fast unmittelbar darauf ihre Stimme. Sie klang sanft und hatte so viel Hall, als käme sie nicht aus ihrem Mund, sondern von sehr weit her. »Ich stamme aus einer Fischerfamilie der Guarani«‚ sagte sie. »Und an jenem schrecklichen Tag vor zwanzig Jahren war ich mit meinem Vater und meinen Brüdern auf dem Wasser. Ich war zweiundzwanzig Jahre alt, bereits einmal verheiratet gewesen und verwitwet. Ich war zurückgekehrt und arbeitete wieder mit meiner Familie, wie ich es als Kind getan hatte. Über den Bergen war die Sonne noch nicht aufgegangen, aber die neblige Luft besaß die Farbe der Innenseite eines Muschelgehäuses. Ich liebte diese morgendliche Stunde. Sie war so lieblich, weil das Feuerwerk der tropischen Farben gedämpft war. Und es war so völlig ruhig, daß man die Fische unter der Wasser-Oberfläche schwimmen hören konnte.«
    Estrella Leyes fest in seinen Armen haltend, kauerte sich Croaker irritiert nieder. Er wollte sie aus ihrer Trance aufwecken, doch der Wunsch, die Geschichte zu hören, die sie zu erzählen begonnen hatte, war stärker.
    »Wir haben
Humaitás
Körper gefunden«, fuhr sie fort. »Zuerst dachten wir, daß er sich in den rotschwarzen Wurzeln der vielen Mangroven verfangen hätte, die bis in den Fluß hineinwuchsen. Seine Schultern, seine Brust und seine Arme waren völlig rot. Zuerst haben wir geglaubt, es wäre Geröll, das der Strom angeschwemmt und das sich durch das Tannin, welches aus den Mangroven sickert, rötlich verfärbt hatte. Dann bemerkten wir, daß es nicht im Wasser lag, nicht ausgewaschen war.
    Er saß mit aufrechtem Oberkörper da, Wurzelfasern unter den Achselhöhlen, blutüberströmt. Es war klar, daß man seine Leiche an diese Stelle gebracht hatte. Weil er ein Heilkundiger war, hatte ihn kein Vogel oder ein anderes Tier angerührt. Sogar die primitiven Krokodile hatten respektvoll Abstand gewahrt.
    Außer meinem Vater hat sich niemand von uns bewegt. Er kletterte aus dem Boot und zog den Körper aus dem Wurzelgestrüpp heraus. Ich erinnere mich so deutlich daran, als wäre es heute morgen gewesen: Er drehte
Humait
á
s
Körper herum, legte ihn mit dem Bauch nach unten in den Fluß, hob dann sein Gesicht an und rieb daran. Er rieb und rieb und schluchzte die ganze Zeit über wie ein hilfsbedürftiges Kind. Ich hatte meinen Vater noch nie zuvor weinen gesehen, und es hat mich verängstigt. Kurz darauf haben wir ihm auf seine Anweisung hin geholfen,
Humait
á
s
Leiche ins Boot zu hieven. Sein Gesicht war so sauber, das es unmöglich war, daran zu glauben, was ich selbst gesehen hatte: Als wir ihn gefunden hatten, war auf jede Wange etwas mit Blut gemalt. Auf der linken Wange konnte man ein Dreieck in einem Kreis erkennen, auf der rechten einen Punkt in einem Rechteck.«
    Estrella Leyes’ Augenlider hörten zu flattern auf, und ihr Körper wurde in Croakers Armen schlaff. Einen Moment später blickte sie aus ihren dunklen Augen zu ihm auf. Sie schien ruhig und heiter zu sein, als wäre sie aus einem langen, verjüngenden Schlaf aufgewacht.
    Croaker schloß seine Hand um den Zauberstein. »Mrs. Leyes, ist alles in Ordnung?«
    Sie hob eine Hand und zeichnete ihm mit der Spitze ihres schlanken Zeigefingers langsam etwas auf die Stirn: ein Oval mit zwei Punkten darin - das Auge mit der doppelten Pupille. »Er ist nicht völlig vernichtet worden. Ich fühle, daß
Humaitás
Geist in Ihnen weiterlebt.« Sie blickte Croaker erstaunt an. »All die Jahre habe ich nichts über seinen Tod erzählt, weil unser Vater von uns verlangt hatte zu schweigen. Er ließ uns schwören, bei der Zeugenaussage zu erzählen,
Humait
á
s
Leiche sei, als wir sie fanden, mit dem Gesicht nach unten im Fluß getrieben.«
    »Warum hat Ihr Vater das getan, Mrs. Leyes? Warum hat er gelogen und verlangt, daß sie eine falsche Zeugenaussage machten?«
    »Weil er die Symbole gesehen und Angst hatte.«
    »Angst wovor?«
    »Er kannte die Jungs, die sich die Symbole zu eigen gemacht hatten. Jeder kannte sie: sie waren fast schon so etwas wie
Humaitás
angenommene Enkel geworden. Und sie haben ihn umgebracht. Sie haben die Symbole auf seinem Körper hinterlassen, um es zu beweisen.«
    »Antonio und Heitor«, sagte Croaker. »Die Bonita-Zwillinge.«
    Sie nickte.
    »Er war ihr Lehrer und hat sie wie ein Vater geliebt. Haben sie ihn nicht auf ihre Art auch

Weitere Kostenlose Bücher