Schwarze Herzen
Aufgabe einem anderen Engel übertragen werden – und Olivia würde für ihre Weigerung bestraft werden. Man würde sie aus dem Himmel verstoßen, ihr die Unsterblichkeit nehmen, ihr die Flügel ausreißen.
„Er hat niemandem etwas getan, seit der Blutfluch von ihm genommen worden ist“, erklärte sie.
Lysander entging der flehentliche Unterton nicht. „Er hat einem von Luzifers Lakaien geholfen, der Hölle zu entkommen.“
„Ihr Name ist Legion. Und ja, das hat Aeron getan. Aber er trägt Sorge dafür, dass die kleine Dämonin den meisten Menschen fern bleibt. Und denen, mit denen sie zu tun hat, begegnet sie mit Freundlichkeit. Na ja, mit ihrer Version von Freundlichkeit.“
„Das ändert nichts an der Tatsache, dass Aeron der Kreatur geholfen hat zu fliehen.“
Olivia ließ die Schultern sinken, obwohl sie keineswegs besiegt aussah. In ihren Augen funkelte Entschlossenheit. „Ich weiß. Aber er ist so … nett.“
Lysander entschlüpfte ein bellendes Lachen. Er konnte einfach nicht anders. „Wir sprechen von einem Herrn der Unterwelt, oder? Und zwar von dem, dessen gesamter Körper mit Bildern von Gewalt und Blut tätowiert ist? Das ist der Mann, den du als nett bezeichnest?“
„Nicht alle seiner Tätowierungen haben mit Gewalt zu tun“, murmelte sie, aus irgendeinem Grund beleidigt. „Zwei sind Schmetterlinge.“
Wenn sie die Schmetterlinge unter den zahllosen Totenschädeln auf dem Leib des Mannes entdeckt hatte, musste sie ihn sehr aufmerksam studiert haben. Lysander seufzte. „Hast du … etwas empfunden für ihn?“ Körperlich?
„Was meinst du?“, entgegnete sie, doch in ihre Wangen stieg ein rosiger Hauch.
Also ja. „Vergiss es.“ Er rieb sich mit der Hand über das plötzlich müde Gesicht. „Gefällt dir dein Zuhause, Olivia?“
Bei diesen Worten wurde sie blass, als ahnte sie, worauf er hinauswollte. „Natürlich.“
„Gefallen dir deine Flügel? Gefällt dir das Fehlen von Schmerz, welche Art von Verletzung du auch erleidest? Gefällt dir das Gewand, das du trägst? Ein Gewand, das sich selbst und dich ununterbrochen reinigt?“
„Ja“, antwortete sie leise. Sie blickte auf ihre Hände hinunter. „Das weißt du doch.“
„Und du weißt, dass du all das und noch mehr verlieren wirst, wenn du deine Pflicht nicht erfüllst.“ Die Worte waren harsch, genauso an ihn gerichtet wie an sie.
Ihr stiegen Tränen in die Augen. „Ich hab nur gehofft, du könntest den Rat dazu bewegen, den Hinrichtungsbefehl aufzuheben.“
„Das werde ich nicht einmal versuchen.“ Ehrlichkeit, rief er sich in Erinnerung. Er musste ehrlich sein. Was er immer vorzog. Zumindest bisher. „Regeln werden immer mit Grund aufgestellt, ob wir diesem Grund nun zustimmen oder nicht. Ich existiere schon seit geraumer Zeit, habe die Welt – ihre und unsere – ins Dunkel und ins Chaos stürzen sehen. Und weißt du was? Dieses Dunkel und das Chaos rührten immer von einer gebrochenen Regel her. Einer einzigen. Denn wenn erst eine gebrochen ist, folgt bald die nächste. Dann noch eine. Es wird zu einem Teufelskreis.“
Einen Moment war es ganz still, während sie seine Worte in sich aufnahm. Dann seufzte sie und nickte. „Also gut.“ Worte der Akzeptanz, gesprochen in einem Ton, der alles andere verhieß.
„Du wirst deine Pflicht tun?“ Was er wirklich fragte: Wirst du Aeron, den Hüter des Zorns , töten, ob du es willst oder nicht? Lysander verlangte nicht mehr von ihr, als er selbst getan hatte. Er verlangte nichts, was er selbst nicht tun würde.
Wieder ein Nicken. Eine Träne lief ihr über die Wange.
Er streckte die Hand aus und fing den schimmernden Tropfen mit der Fingerspitze auf. „Dein Mitgefühl ist bewundernswert, aber es wird dich vernichten, wenn du ihm so viel Macht über dich einräumst.“
Mit einer Handbewegung wischte sie seine Worte fort. Vielleicht weil sie nicht daran glaubte oder weil sie es sehr wohl glaubte, aber nicht vorhatte, etwas dagegen zu unternehmen, und deshalb nicht weiter darüber reden wollte. „Also, wer ist die Frau in deiner Wolke? Die auf den Gemälden?“
Er … wurde rot? Ja, da breitete sich Hitze auf seinen Wangen aus. „Meine …“ Wie sollte er Bianka erklären? Wie könnte er, ohne zu lügen?
„Geliebte?“, beendete sie seinen Satz.
Ein weiterer Hitzeschub strich über sein Gesicht. „Nein.“ Vielleicht. Nein! „Sie ist meine Gefangene.“ So. Die Wahrheit, ohne irgendwelche Details preiszugeben. „Und jetzt“, setzte er an und
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