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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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gemacht. Erinnerst du dich an Madariaga? Wenn es darum geht, Leichen zu porträtieren, übertrifft ihn keiner. Der Hurensohn ist ein Künstler. Schade, dass er langsam blind wird, da geht ein großes Talent verloren.«
    Ich bat ihn, nicht vom Thema abzuschweifen und mir zu sagen, was er sonst noch gesehen hatte.
    »Dass auf den Toten eingestochen worden war, als wollte man ihn im eigenen Saft schmoren.«
    »Warum wurdet ihr gerufen, wo ihr schließlich für Spezialaufgaben zuständig seid?«
    »Weil der Vorfall sich innerhalb des markierten Gebiets ereignete.«
    »Welches markierte Gebiet?«
    »Das, in dem das Fata Morgana liegt.«
    »Und was hat dazu geführt, dass das Fata Morgana markiert wurde?«
    »Die Frage ist wer, nicht was.«
    »Wer denn?«
    »Gott, pendejo.«
    Ich nahm an, dass Richter Oviedo Carcaño befohlen hatte, das Lokal und seine Umgebung zu überwachen. Deswegen war das Gebiet markiert, und die Polizei ließ die Abteilung Spezialaufgaben vollkommen autonom arbeiten.
    »Was hat dir Benjamín noch gesagt?«
    »Verhörst du mich etwa?«
    »Du hast den Toten gesehen und mit Benjamín, dem Hotelmanager, gesprochen. Also ja, ich verhöre dich.«
    »Jetzt reg dich nicht auf. Laut Benjamín Sánchez kamen Roberto und Efrén eines Nachts, um wie gewöhnlich die Klingen zu kreuzen. Und dann tauchte ein Typ auf und schlug ordentlich Krach.«
    »Beschreibung.«
    »Benjamín erinnert sich nur an die Stimme, er sagt, er habe sich die Zeit vertrieben, indem er Sakrileg las. Ich erwähne das Buch, weil du ja so auf Details stehst. Erst als er die Schreie hörte, legte er das Buch beiseite.«
    »Welche Schreie?«
    »Die des Typen, als ihn Roberto, oder Maika, oder wie auch immer sie heißt, gebissen hat.«
    »Wohin hat sie ihn gebissen?«
    »Dorthin, wo es einem Mann am meisten wehtut.«
    Die Musik wurde immer lauter und erstickte Wintilos Worte.
    Ich bat ihn zu warten und steuerte auf die Theke zu, doch bevor ich Protest einlegen konnte, machte der Barkeeper einen zweiten, besser gepolsterten Typen auf mich aufmerksam. Dieser blickte mir mit dem Gesichtsausdruck eines räudigen Katers entgegen. An seinen fetten Handgelenken klimperten goldene Armreifen.
    »Zieh ruhig die Knarre«, sagte er hellsichtig. »Ich weiß, dass du Kriminalpolizist bist, aber das macht mir keine Angst. Mich beschützt die Santa Muerte. Also töte mich, wenn du kannst …«
    Mit jemandem, der zu solchen Mitteln greift, kann man nicht diskutieren.
    Ich ging zu unserem Tisch zurück, den Wintilo inzwischen als Kopfkissen benutzte. Nachdem ich ihm ein wenig Anislikör ins Ohr gegossen hatte, wälzte er sich herum wie ein Besessener.
    »Lass uns gehen.«
    »Wohin?«
    »Irgendwohin, wo es keinen Lärm gibt.«
    »Welchen Lärm?«
    Ich vergewisserte mich, dass er sich allein auf den Beinen halten konnte, und zog meine Brieftasche.
    »Keine Bewegung, pendejo!« Wintilo schlug mir die Brieftasche schneller aus der Hand, als Clint Eastwood seinen Revolver zieht. »Das sind Spesen, die zahlt die Abteilung, genauso wie die Huren, die wir später vögeln werden.«
    Er rief den Kellner, einen jungen Mann mit zartem Körperbau, und zog eine goldene Kreditkarte aus seiner gut gefüllten Brieftasche. Seine komplizierte Unterschrift füllte das ganze Papier. Dann fügte er ein Trinkgeld hinzu, das eine Beleidigung war, nicht wegen der Höhe, sondern weil er den Kellner fragte, ob er Schwestern habe, denen er davon Tangas kaufen könne. Der Junge war schlau genug, zu merken, dass Wintilo nur ein impertinenter Betrunkener war. Aber für einen impertinenten Betrunkenen gibt es keine größere Beleidigung als das Schweigen.
    »Scheißkerl«, sagte er zu dem Jungen und musterte ihn verächtlich von Kopf bis Fuß. »Nicht mehr viel, und du siehst aus wie eine Frau …«
    Ich zog Wintilo hinter mir her auf die Straße, wo uns ein Typ in koboldgrüner Weste die Autos brachte. Mein Datsun sah aus wie der Dienstbote des nagelneuen Ford, der vor Wintilo abgestellt wurde.
    »Ja, der ist neu. Na und? Mit dem Schweiß meiner Eier verdient. Wohin jetzt? Wieder zur Plaza Garibaldi oder gleich in den Puff?«
    Ich nahm ihn mit ins Siracusa, eine kleine Kneipe in Coyoacán, in der Jazz gespielt wird. Keine falschen Schlüsse: Ich ging dorthin, weil Jazz keine Musik ist, sondern eine willkürliche Aneinanderreihung von Noten, die nicht die Absicht haben, irgendjemanden zu beleidigen. Außerdem werden sie an diesem Ort so gespielt, dass das menschliche Ohr sie kaum wahrnimmt, nur

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