Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
Vom Netzwerk:
verkleidete Roberto sich dort hinuntergestürzt hatte. Falls doch, musste er Arschbacken aus Gummi haben. Ich ging auf eine kleine Tür zu, die anscheinend zu einer Hintertreppe führte.
    Ein ekelerregendes Geräusch ließ mich herumfahren. Wintilo übergab sich. Nicht in einer stillen Ecke, sondern mitten in die Leere hinein, in die niederträchtige Leere der Stadt. Nachdem er fertig war, legte er sich auf die Terrasse und streckte Arme und Beine von sich wie der Hampelmann von Da Vinci. Er murmelte, er werde sterben und habe Angst, in die Hölle zu kommen. Er zitterte. Ich half ihm auf, und wir gingen langsam wieder nach unten. An der Rezeption starrte Benjamín ihn an, als hätte er ein Gespenst vor sich. Und genau das war Wintilo Izquierdo in diesem Moment, ein Gespenst mit wächserner Haut. Sogar sein Geruch war eigenartig. Ohne ihm zu nahe treten zu wollen, würde ich sagen, dass er nach Leber roch. Ich weiß natürlich nicht, nach was eine Leber riecht, aber ich glaube, er roch genau so: nach aufgedunsener Zirrhoseleber, zwischen bitter und süßlich.
    So konnten wir das Hotel unmöglich weiter durchsuchen. Ich bat Benjamín, Wintilos Auto im Hotelparkhaus abstellen zu dürfen, worauf Wintilo ihn mit belegter Stimme warnte, dass er ihm die Fresse polieren würde, wenn er an seinem Wagen auch nur einen Kratzer entdeckte.
    Wie der Kellner aus dem Siracusa zog Benjamín es vor, zu schweigen. Und wieder beleidigte dieses Schweigen den Betrunkenen.
    »Zweifelst du etwa daran, du Fettsack?«, hakte Wintilo nach, woraufhin ich ihn kurzerhand zur Seite zerrte.
    Ich setzte mich hinters Steuer. Das Auto hatte tausendundeine Marotte, darin ähnelte es ironischerweise meinem alten Datsun. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich es geparkt hatte, nicht ohne eine Tür zu zerkratzen und voller Mitgefühl an Benjamín Sánchez zu denken.
    Als ich ins Hotel zurückkam, war Wintilo, quer über dem Sessel liegend, eingeschlafen.
    Ich brachte ihn in meinem Auto nach Hause. Unterwegs machte er plötzlich die Augen auf und schlug vor, eine Line Koks kaufen zu gehen. Ich antwortete, Koks sei nicht mein Ding.
    »Was ziehst du dir dann rein, um glücklich zu sein?«, fragte er mich.
    Ich antwortete, dass ich nicht darauf aus sei, glücklich zu sein, und mir daher auch nichts reinziehen müsse. Zugegeben, hin und wieder spritzte ich mir Morphium, aber nur um dem Schmerz ein Schnippchen zu schlagen und nicht, um irgendwelche Glückszustände zu erreichen. Das Glück ist gefährlich, wie Arturito, der Puppenspieler, sagen würde, denn es macht abhängig.
    »Schopenhauer«, lallte Wintilo. »Du bist mein Taschen-Schopenhauer, Alter. Erinnerst du dich an Meister Schopenhauer? Den Philosophen? Dieser Typ hat mein Leben verändert. Er hat einen Intellektuellen aus mir gemacht.«
     
    Am nächsten Tag klingelte das Telefon erst gegen Mittag. Es war Wintilo. Er teilte mir mit, dass Judiths Wohnung verwanzt sei. Wir verabredeten uns für sechs Uhr abends in den Büroräumen der Kriminalpolizei.
    Keiner von uns schlug vor, gemeinsam zu Mittag zu essen.
    Den Rest des Tages machte ich nicht allzu viel. Ich las eine Zeitschrift, in der es um Zwerg- und Riesenwuchs ging, zwei Phänomene, bei denen man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass Gott Sinn für Komik hat. Das Telefon klingelte, falsch verbunden. Ich merkte, wie sehr ich auf einen Anruf von Teresa Sábato wartete, und beschloss, der Sache ins Auge zu sehen.
    Also stattete ich Irene Sandoval einen Besuch ab.
    Ich war überrascht, dass sie mit Rotznase Saúl im Arm die Tür öffnete. Der Analphabetenblick des Kleinen durchbohrte mich, als wüsste er genau, was ich mit seiner Mutter trieb.
    »Willst du ihn mal halten?«
    Bevor ich abwehren konnte, hatte Irene ihn mir in die Arme gedrückt. Die Leichtigkeit des kleinen Kerls wirkte so traumatisierend wie eine ungesicherte Handgranate. Ich reichte ihn Irene sofort wieder zurück, deren amüsiert-spöttischer Blick verriet, wie sehr sie die Provokation genoss. Sie bot mir etwas zu trinken an. Als ich ihr vorwarf, nicht den Mund gehalten zu haben, entschuldigte sie sich mit der Behauptung, Teresa sei einer dieser intuitiven Menschen, die man nicht an der Nase herumführen könne. Ich flehte sie an, ihr dieses Mal nichts von meinem Besuch zu sagen. Wie vom Teufel gejagt, verließ ich, zwei Stufen auf einmal nehmend, das Haus. Alles nur, weil ich das Baby im Arm gehalten hatte und mir plötzlich bewusst geworden war, dass ich dabei war, mich in die

Weitere Kostenlose Bücher