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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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verschanzt, hinter seinem Siegerlächeln. Um sich dann plötzlich um hundertachtzig Grad zu drehen und loszuheulen. Er heulte, als wir uns am Ende der Schulzeit gegenseitig die Hemden signierten, heulte, weil eine Zeit zu Ende ging, die ihm ruhmreich erschienen sein muss, während sie für mich die Hölle war. Für mich war die Schule ein Gefängnis. Nicht umsonst sehen die staatlichen Schulgebäude aus wie Haftanstalten: das gleiche Zementgrau, die gleichen roten Ziegel, die hohen Mauern, damit man nicht abhauen kann, die Gittertüren vor den Klassenzimmern. Wahrscheinlich sollen sie so aussehen, damit die Kinder sich schon mal an diese mögliche Zukunftsaussicht gewöhnen. Und dennoch heulte Wintilo Izquierdo am Ende und unterschrieb Hemden und ließ sich seins unterschreiben. Er signierte die Hemden seiner Freunde und seiner Feinde. Er signierte die Hemden derjenigen, die er drei Jahre lang gequält hatte, indem er ihnen Auswurf ins Gesicht gespuckt, ihnen böse Spitznamen verpasst, ihnen ihr Geld, ihr Essen, ihre Würde gestohlen hatte. Er schrieb innige Sätze auf die kakifarbenen Hemden der Schuluniform, aber auch verächtliche Ausdrücke, die derjenige, der das Hemd trug, nicht sehen konnte, weil es auf der Rückseite beschrieben wurde. Von hinten, auf Verräterart, genau wie die schwarzen Küsse, die Efrén und Rosendo Galindo vielleicht zitternd vor Leidenschaft empfangen hatten, schwarze Küsse, die auf der Haut brannten, und dann plötzlich ein Messerstich, und dann noch einer und noch einer …
    Wir fuhren zu Galindos Kanzlei. Die Sekretärin war gerade dabei, die Sachen ihres Chefs in Kartons zu packen. Unser Anblick genügte, um sie zum Zittern zu bringen und ihr zwei dicke Tränen in die Augen zu treiben.
    Ich versprach, dass wir uns kurzfassen würden.
    »Ich habe doch schon alles gesagt, was ich weiß.«
    Wintilo fragte, wie es möglich sei, dass sie nichts davon gemerkt habe, dass ihr Chef im Büro nebenan ermordet wurde. Carito schwor, nicht ein einziges Geräusch gehört zu haben.
    »Dann muss es passiert sein, als Sie nicht hier waren«, sagte ich.
    »Wir brauchten Toner für den Drucker«, gab sie zu. »Also bin ich losgegangen, um welchen zu kaufen.«
    »Wie lange waren Sie weg?«
    »Drei Stunden.«
    Ich reichte ihr die Schachtel mit den Papiertaschentüchern, als ich sah, wie die Tränen ihre Augen überschwemmten.
    »Wussten Sie, dass ihr Chef mit einem Mann ins Bett ging?«, fragte Wintilo.
    Carito senkte den Kopf.
    »Wussten Sie es oder nicht?«
    »Na ja, schon, aber mein Chef war nicht schwul.«
    »Ach, so ein Schwachsinn!« Wintilo kratzte sich am Kopf. »Was war er sonst? Nur ein Neugieriger, der wissen wollte, ob alle Männer den Sack am gleichen Fleck haben?«
    Wintilos plumpe Grobheit schien Carito zu beschämen, mit kaum hörbarer Stimme erklärte sie: »Mein Chef glaubte, dass Roberto eine Frau sei. Er sah wirklich wie eine aus. Er kleidete sich sehr feminin, hatte hübsche Beine, eine weiche Stimme, und er bewegte sich auch nicht so übertrieben wie andere. Er hatte ein richtiges Frauengesicht.«
    »Und wie hat Galindo dann entdeckt, dass die Mieze keine Muschi hatte?«
    Die Sekretärin wirkte ganz eingeschüchtert von seinem Sarkasmus, also ergriff ich das Wort: »Wie hat er es gemerkt?«
    »Ich weiß es nicht. Aber er hat es gemerkt. Und er ist zusammengebrochen. Von jenem Tag an war er schweigsam, melancholisch. Eines Tages fragte er mich nach meiner Meinung.«
    »Und was war Ihre Meinung?«
    »Ich sagte ihm, dass in der Liebe und im Krieg alles erlaubt sei.«
    »Und das denken Sie wirklich?«
    »Nein. Aber was soll man einem Mann sagen, der schwul wird und es nicht sein will und einem obendrein das Gehalt zahlt?«
    Wintilo und ich sahen uns an. Carito ging davon aus, dass wir keine weiteren Fragen an sie hatten, und kehrte zu ihrer Beschäftigung zurück, Galindos Eigentum in Kisten zu verstauen. Es waren typische Bürogegenstände, nichts davon schien wichtig zu sein.
    »War Ihr Chef verheiratet?«
    Carito schüttelte den Kopf.
    »Lassen Sie mich raten«, sagte ich. »Ihr Chef hat Ihnen das mit Roberto erzählt, und Sie nutzten die Situation aus und verlangten eine Gehaltserhöhung dafür, dass Sie die Sache nicht überall herumerzählen …«
    Meine plötzliche Anschuldigung schien Carito zu überraschen.
    »Warum hätte ich ihn erpressen sollen?«
    »Aus Habgier, oder aus Neid. Vielleicht beides.«
    »Neid auf was, Señor? Ich weiß, wo mein Platz ist.«
    »Sie wollten mehr

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