Schwarze Pest aus Indien
nehme Oskar mit und fahre zu Tante Elsa.
Vorm Einschlafen habe ich mir das überlegt. Für den wunderschönen
Biedermeier-Armreif muß ich mich richtig bedanken. Nicht nur mit Worten. Ich
weiß auch schon, wie. Damit Tante Elsa endlich mit dem Rauchen aufhört, muß sie
das Naschen anfangen. Also bringe ich ihr die halbe Schokoladentorte, die noch
übrig ist. Selbstgemacht — so was ist immer ein schönes Geschenk.“
„Finde ich gut“, lächelte Margot.
Gaby war so angetan von ihrer Idee, daß
sie sich kaum Zeit ließ für eine Tasse Tee samt Waffel.
Keine 15 Minuten später saß Tims
Freundin auf ihrem Klapprad, und Oskar, wie verrückt vor Freude, lief nebenher.
Natürlich — wie jeder gute Hundehalter
weiß Gaby, daß man seinen Vierbeiner nicht an der Leine mit sich zerren darf,
weder wenn man fußläufig unterwegs ist, noch wenn man auf einem Drahtesel
sitzt. Kein Hund rennt ohne Pause — es sei denn, er jagt einen Hasen, den er
ohnehin nie erwischt.
Gaby fuhr also langsam, achtete auf Oskar
und hielt sofort an, wenn es dem in der Nase juckte. Hunde sind nun mal
Nasentiere. Erlebnisse, Eindrücke, Empfindungen und Bildung ziehen sie sich
durch das Riechorgan rein. Wenn ein Hund schnuppern will — und weggezerrt wird,
ist das Tierquälerei.
Trotz früher Stunde kamen die beiden
also nur langsam voran, denn Oskar beschnupperte viele Hausecken und hob immer
wieder das Bein.
Auf den Straßen war noch nichts los.
Es begann zu nieseln.
Gaby zog sich die Kapuze über den Kopf.
Die halbe Schokotorte, eisschrankgekühlt,
lag in einem Karton, den Gaby auf dem Gepäckträger festgeklemmt hatte. Sofern
es nicht stärker regnete, bot der Karton genug Schutz.
Frauchen und Hund erreichten den
Kosebella-Park.
Es war wirklich noch früh. Zwischen den
Büschen hing der Dunst, auf Wiesen und Wegen lag Tau. Die Stockenten zogen beim
Ententeich eben erst die Köpfe unter den Flügeln hervor. Meisen, Amseln und
Grünlinge würden erst in einer halben Stunde bei den Futterplätzen auftauchen,
obwohl die Vogelfreunde mit dem herbstlichen Anfüttern bereits beschäftigt
waren — damit die Gefiederten Speck ansetzen, bevor der harte Winter beginnt.
Werktags sieht man im Kosebella-Park
Jogger.
Zwischen 6 und 7 Uhr drehen sie ihre
Runden, weil für viele schon um 8 Uhr die Bürozeit anfängt.
Aber heute war ja Samstag, und die
Jogger schliefen aus. Einige würden auch schwänzen, weil das Wetter abschreckte
— und so kam es, daß im Kosebella-Park total tote Hose war, als Gaby und Oskar
antanzten.
Hier durfte das Schlappohr frei laufen.
Gaby behielt ihn im Auge, während er im
Zickzack über die Wiese jagte, immer mit der Nase am Boden.
Jetzt verschwand Oskar hinter Büschen.
Einen Moment später bellte er zornig.
Gaby hielt an und rief, aber ihr
Vierbeiner kam nicht.
Sein Gebell änderte den Ausdruck, klang
jetzt eher aufgeregt als zornig.
Seufzend schob Gaby ihr Rad über den
Rasen.
Oskar war irgendwo am Ententeich.
Sie mußte sich durch nasse Büsche
zwängen, was zwar der Jacke nicht schadete, aber eine Menge welker Blätter auf
dem Stoff hinterließ.
Dann sah Gaby, weshalb ihr Hund sich
das Maul fransig bellte.
Ein Mensch lag auf einer versteckten
Ruhebank, lag bäuchlings, ließ einen Arm herabhängen und ein schlaffes Bein.
Erschrocken näherte sie sich und
stellte fest: Es war ein Mann. Sein City-Bag und eine Reisetasche standen auf
dem feuchten Boden.
Um Gottes willen! dachte Gaby. Der
sieht richtig tot aus.
Oskar schob sich jetzt vorsichtig vor
und schnüffelte an den Hosenbeinen. Dabei knurrte er leise.
Gaby überwand sich, stellte ihr Rad ab
und trat zu dem Mann.
Wie ein Penner wirkte er nicht. Daß er
auf Oskars Gebell nicht reagierte, ließ schlimme Vermutungen zu.
Tot? Bewußtlos? Betrunken?
Gaby war in Erster Hilfe ausgebildet —
und das nicht nur, um Klößchen fachgerecht auf den Rücken klopfen zu können,
falls er sich an Schokolade verschluckte.
„Ruhig, Oskar! Sitz!“
Er gehorchte, und sie beugte sich über
den Mann.
Sein Gesicht war zur Seite gedreht, ihr
zu.
Gaby stutzte. Kannte sie den? Irgendwo
hatte sie ihn schon gesehen? Er war zwar totenbleich, aber die Lider zuckten.
Also lebte er noch.
Gerade wollte sie auf atmen, als es ihr
wie Schuppen von den Augen fiel: Das war — Detlef Knobel.
Sie prallte zurück. Der Schreck schlug
zu. Aber Gaby ist ja nicht aus Zucker. Rasch hatte sie sich und ihre Gedanken
wieder unter Kontrolle. Erste Hilfe war hier zu wenig.
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