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Schwarze Piste

Schwarze Piste

Titel: Schwarze Piste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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sie. »Rück mal ein Stück.«
    Kreuthner rückte zur Seite. Daniela legte ihren Kopf in seinen Schoß und schloss die Augen. »Ich bin manchmal sehr müde, seit sie nicht mehr da ist. Furchtbar müde.« Kreuthner spürte das Gewicht ihres Kopfes auf seinen Oberschenkeln und die Wärme, die von Daniela ausging, betrachtete ihre Wimpern, die manchmal zuckten, ihre dünnen, fast weißen Haare und ihren Mund, der sich langsam öffnete, als sie einschlief.

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    43
    D ie Frau saß im Empfangsbereich der Kanzlei, gelegentlich kamen Anwaltssekretärinnen und (seltener) Anwälte vorbei und verschwanden gedämpften Schrittes mit Unterschriftenmappen in Büros, deren Türen sonst geschlossen blieben. Das Gebäude in der Nymphenburger Straße war modern, eingerahmt von Altbauten und in unmittelbarer Nachbarschaft zur CSU -Landesleitung. Im Sommer war die Straße grün und lebhaft. Jetzt lag Schnee.
    »Es dauert nicht mehr lang. Dr. Sperber hat noch eine Telefonbesprechung. Aber die müsste bald zu Ende sein.«
    »Kein Problem«, sagte die Frau. Sie hatte ohnehin Glück, dass der Anwalt kurzfristig Zeit hatte. Der Empfangsbereich war in Weißtönen gehalten. Nüchtern. Wahrscheinlich sollten die Gedanken der Beschäftigten nicht durch den Anblick antiker Möbel oder interessanter Holzmaserungen von der Arbeit abschweifen. Hier gab es nichts, was sie ablenken konnte, bis auf einen kleinen Weihnachtsbaum auf dem weißen Rezeptionstresen, gegen den sich offenbar niemand einzuschreiten traute. Sie hatte Angst. Scheißangst. Ihr Leben war in Gefahr, und sie hatte niemanden, den sie um Hilfe bitten konnte.
    »Kommen Sie bitte mit, Frau Schildbichler. Herr Dr. Sperber ist jetzt frei.« Die Dame von der Rezeption stand mit einem Mal vor ihr und lächelte. Annette Schildbichler hatte sie nicht kommen sehen, sie war ganz von ihrer Angst vereinnahmt.
     
    Dr. Sperber war Ende vierzig, sportlich, voll ergraut und sehr groß. Er bot Annette Schildbichler einen Platz am Besprechungstisch an und setzte sich dazu. Bei der Dame von der Rezeption orderte er Kaffee.
    »Ich habe leider nicht viel Zeit, weil ich den Termin zwischen zwei andere schieben musste. Aber Sie sagten, es gehe um Jörg Immerknecht.«
    »Das ist richtig«, sagte Annette Schildbichler und atmete tief durch. Sie entnahm ihrem Jackett ein kleines Kuvert und überreichte es dem Anwalt. Darin befand sich ein an Sperber gerichtetes Schreiben.
     
    Lieber Martin,
    im Falle meines Todes, oder falls ich nicht mehr in der Lage sein sollte, mich klar zu äußern und Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen, bitte ich Dich, den Brief, den ich am 6 . Oktober 2008 bei Dir hinterlegt habe, an die Überbringerinnen dieses Schreibens auszuhändigen. Es handelt sich um Annette Schildbichler, geboren am 31 .  07 .  1962 , sowie um Sophie Kramm, geboren am 04 .  02 .  1964 . Du müsstest beide noch aus meiner Studien- WG kennen. Für den Fall, dass eine von ihnen zu dem Zeitpunkt, an dem Dich dieses Schreiben erreicht, nicht mehr lebt, erhält die Überlebende den hinterlegten Brief. Die zahlreichen Fragen, die Du wahrscheinlich haben wirst, können Dir Annette und/oder Sophie beantworten. Ob sie es tun wollen, überlasse ich ihrer Entscheidung. Sollten sie sich Dir anvertrauen, bitte ich Dich, ihnen jede (vor allem juristische) Unterstützung zukommen zu lassen, die Dir möglich ist, ohne in Interessenkonflikte zu geraten. Es war schön, Dich zum Freund gehabt zu haben. Bis irgendwann in einem anderen Leben.
    Jörg
     
    Sperber sah von dem Brief auf. Er war leicht blass geworden, atmete durch und legte das Schreiben vor sich auf den Besprechungstisch. »Tut mir leid, dass ich dich nicht gleich erkannt habe. Ist ja über zwanzig Jahre her.«
    »Wir haben uns damals nicht oft getroffen. Ich hätte dich, ehrlich gesagt, auch kaum erkannt.«
    »Jörg ist gestorben?«, fragte er schließlich nach einer Pause.
    Annette Schildbichler nickte. »Ja. Gestern.«
    »Das tut mir sehr leid. Ich hab ihn seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Wir hatten nur wenige Berührungspunkte. Aber wir haben uns Mails geschrieben. War er krank?«
    »Nein. Er ist …« Sie zögerte, sah aus dem Fenster auf die verschneite Nymphenburger Straße. »Er wurde ermordet.«
    Durch Sperber ging ein Ruck. »Wie bitte?«
    »Jemand hat ihn ermordet. Ebenso wie … Sophie.«
    Sperber saß eine ganze Weile mit halboffenem Mund da, als fiele ihm nichts Intelligentes ein, das er auf diese Eröffnung sagen könnte.

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