Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
„Er wird uns alle umbringen.“
„Raff dein bisschen Verstand zusammen! Her mit dem Licht. Leuchte den Flur aus.“
Fasziniert stand Violet auf der Türschwelle. Sie hatte den Leuchter ergriffen, den Marlow auf die Kommode gestellt hatte und war – ohne auf Marlows Anweisung zu achten – zum Treppenabsatz gelaufen.
Lärm drang von unten hinauf, Möbelstücke wurden verschoben, ein Gegenstand zerschellte am Boden, Türen wurden aufgerissen und wieder zugeschlagen.
„Wieso steht das Küchenfenster offen?“, brüllte Marlow. „Verflucht noch mal, Charles. Wieso macht ihr die Fenster über Nacht nicht zu?“
„Es war meine Frau, Mr. Marlow. Sie wollte nicht, dass die Kochdünste über Nacht durchs Haus ziehen.“
„Ein verdammter Leichtsinn!“
Als die beiden sich wieder der Treppe näherten, zog sich Violet eilig in ihr Zimmer zurück. Ein Einbrecher, dachte sie und erinnerte sich schaudernd an die seltsamen Geräusche, die sie am Abend zuvor im Flur vernommen hatte. Angst erfasste sie. Großer Gott. Sie hatte sich also doch nicht getäuscht, es war ein Fremder im Haus gewesen.
„Ist etwas gestohlen worden, Mr. Marlow?“, hörte sie Charles fragen.
„Wir haben ihn wohl frühzeitig gestört. Ihr könnt jetzt alle wieder schlafen gehen – ich melde den Vorfall morgen früh der Polizei.“
„Ist recht. Gute Nacht, Mr. Marlow.“
Violet stand in ihrem Zimmer gegen die Wand gelehnt und lauschte in den Flur hinaus. Sie wünschte sich heftig, Marlow würde zu ihrem Zimmer zurückkehren, sie zärtlich in die Arme nehmen und sie trösten, denn die Angst wollte ihr die Kehle zuschnüren. Doch er schien sie völlig vergessen zu haben. Stattdessen hörte sie ein leises Knarren, als habe er eine Tür geöffnet.
Was trieb er dort? Weshalb kam er nicht zu ihr zurück? Sie hielt es nicht mehr aus und trat leise in den Flur. Die Kammertür stand weit offen, der schwache Lichtschein der Laterne drang hinaus.
„Was tust du da?“
Er kniete am Boden und wühlte mit beiden Händen in einem hölzernen Kasten, Sägespäne lagen um ihn herum verstreut, dazwischen einige schmale, längliche Gegenstände. Violet sah eine blanke Klinge aufblitzen. Es waren Messer. Genau fünf Stück.
Er war so beschäftigt, dass er bei ihrer Frage zusammenfuhr und sie wild anstarrte. Er sah zum Fürchten aus, das dunkle Haar hing ihm wirr ins Gesicht und seine Augen hatten den Ausdruck eines gehetzten Tieres.
„Nichts“, sagte er mit harter Stimme. „Gar nichts. Geh jetzt zu Bett. Und schließ die Tür ab.“
Wie betäubt lief sie in ihr Zimmer und schloss sich ein. Ein Zittern hatte ihren ganzen Körper erfasst, das auch nicht verging, als sie ins Bett kroch und sich unter der Decke zusammenrollte. Der Schüttelfrost war so stark, dass ihre Zähne aufeinander schlugen und sie sich mit den Händen an einen der hölzernen Bettpfosten klammern musste.
Als das Beben endlich nachließ und nur noch hie und da für einen kleinen Moment wiederkehrte, spürte sie bleierne Erschöpfung und fiel in einen tiefen, betäubenden Schlaf.
Gegen Morgen erschreckten sie unheimliche Träume. Sie irrte durch ein düsteres Labyrinth, gehetzt von namenloser Angst, sie stieg schmale Treppen herunter, die in schwarze Dunkelheit führten, eilte durch enge Gänge, die sich immer mehr verzweigten und keinen Ausgang hatten. Etwas war hinter ihr, jagte sie durch die Finsternis, etwas Grausiges, Lebensgefährliches, ein Wesen aus Nacht und Schatten, nicht greifbar und doch tödlich. Dann wieder sah sie Marlows hohe, schmale Gestalt, sein kantiges, blasses Gesicht, das wirre, dunkle Haar und in seiner Hand ein blitzendes Messer. Sie hörte ihn rufen, wollte zu ihm hinlaufen, von Sehnsucht getrieben, da plötzlich verstand sie seine Worte. Er rief Clarissas Namen.
Als Maggy um halb acht Uhr gegen ihre Tür klopfte, erwachte Violet mit einem dumpfen Gefühl im Kopf. Durch die Ritzen der Vorhänge drangen Sonnenstrahlen, gaben dem Stoff gleißende, goldfarbige Ränder und warfen zitternde Lichtmuster auf den Boden.
„Der Morgentee, Miss Burke.“
Sie stieg aus dem Bett, um Maggy zu öffnen, und wunderte sich darüber, dass ihr nicht einmal schwindelig war. Sie fühlte sich gut, nur ihr Genick war ein wenig steif und ihr Kopf seltsam leer.
„Was für eine schreckliche Nacht, Miss Burke“, sagte Maggy, während sie das Tablett auf der Kommode abstellte. „Ich habe kein Auge mehr zutun können vor Angst. Wegen mir kann Mr. Marlow dieses unheimliche, alte
Weitere Kostenlose Bücher