Schwarze Rosen
sie zu dem Schluss, dass es nur Einbildung war, eine ängstlicheFantasie nach ihrem Unfall mit der Vespa vor einem halben Jahr. Giovanna war durch die Gassen gefahren, ein Auto hatte nicht bei Rot gehalten, und sie war durch die Luft geschleudert worden, bevor sie auf das Pflaster geknallt war. Sie hatte mehrere Brüche davongetragen, aber zum Glück keine schweren. Wie man ihr hinterher erzählt hatte, hatte sie lediglich für kurze Zeit das Bewusstsein verloren gehabt.
In der obersten Etage angekommen, zuckte sie wieder zusammen. Heftiger als zuvor. Es war dunkel hier, die Birne brannte nicht. Jetzt wurde Giovanna wirklich angst und bange. Als sie heute Vormittag weggegangen war, hatte das Licht noch bestens funktioniert, das wusste sie genau.
Aus der Angst wurde Panik. Giovanna blickte über ihre Schulter und fühlte sich bedroht. Hastig fischte sie den Wohnungsschlüssel aus dem Bund, den sie leicht ertastete, denn es war der längste der Schlüssel.
Doch sie kam nicht mehr dazu, ihn im Schloss herumzudrehen.
Eine kräftige Hand hielt ihr den Mund zu, während ihre Augen in der Dunkelheit hilfeflehend aus den Höhlen traten.
Diesmal war es keine Einbildung.
Und auch kein Albtraum.
25
FREITAG, 25. JUNI
Es war kurz vor acht.
Olivia schloss auf wie jeden Morgen und ging hinein.
Kein Geräusch, alles war ruhig.
Die Signora schlief offenbar noch.
Das Licht im Flur brannte, aber Olivia dachte sich nichts dabei und ging weiter. Da sah sie, dass auch im Schlafzimmer das Licht eingeschaltet war und die Tür halb offen stand.
»Signora Giovanna?«
Keine Antwort.
Olivia rief ein zweites Mal, nun lauter.
Als auch beim dritten Mal keine Reaktion kam, wusste sie, dass etwas nicht stimmte.
Diskret steckte sie den Kopf zur Tür hinein, dann überwand sie sich und schlich leise ins Zimmer. Ein paar Schritte, und sie erstarrte. Nach einer Schrecksekunde stieß sie einen durchdringenden Schrei aus, blieb aber reglos und wie versteinert stehen.
Die Signora lag auf dem Bett. Auf dem Rücken, die Arme mit Handschellen an das schmiedeeiserne Kopfteil gefesselt, den Kopf zur Seite gedreht, die Augen weit offen. Die Haare klebten ihr feucht an Schläfen und Stirn. Ein Leinenlaken bedeckte vom Bauch abwärts die untere Hälfte ihres Körpers.
Olivia wollte zu ihr eilen, doch ihre Füße weigerten sich und waren wie blockiert. Sie musste hier raus, das ertrug sie nicht! Ohne noch einmal zu der Leiche hinzusehen, wankte Olivia ins Bad, wo sie sich ins Waschbecken übergab. Erschöpft glitt sie auf den weißen Marmorfußboden hinunter. Es verging eine Weile, ehe sie sich so weit im Griff hatte, dass sie den Polizei-Notruf wählen konnte und danach gleich die Nummer der Eltern der Signora.
2 6
Die erste Funkstreife war nach wenigen Minuten vor Ort.
Die Frau, die die Polizei verständigt hatte, lehnte weiß wie die Wand an der Wohnungstür. Sie schluchzte und hielt ein zerknülltes Taschentuch in der Hand.
Das Opfer hieß Giovanna Innocenti. Ein bekannter Name in der Stadt, der zu einer der ältesten und angesehensten Florentiner Familien gehörte. Die Eltern besaßen ein großes Landgut nicht weit von Florenz, in der Gegend von Pontassieve, auf dem sie ein florierendes Weinbauunternehmen betrieben. Ihr Wein wurde auch in andere europäische Länder und sogar in die Vereinigten Staaten verkauft. Giovanna, die einzige Tochter, war ledig gewesen. Sie war gerade sechsunddreißig geworden und hatte schon längere Zeit in dieser Wohnung gewohnt. In der Wohnung, in der jetzt der Geruch des Todes hing.
Bald kamen weitere Carabinieri aus der Station »Carlo Corsi« in der Via Borgognissanti hinzu, dem traditionellen Sitz des Provinzkommandos. Bei ihnen war der Kommandant des Fahndungsapparates, Maresciallo Edoardo Gori. Ein großer schlanker Mann mit dichten dunklen, leicht grau melierten Haaren und ausgeprägten Wangenknochen. Obwohl erst einundvierzig, war Gori längst daran gewöhnt, dem Tod in seinen verschiedensten Ausprägungen ins Gesicht zu sehen. Mit Mordopfern, auch schrecklich entstellten, hatte er es in seiner Laufbahn schon häufig genug zu tun gehabt, doch dieses hier unterschied sich von allen anderen. Hinter diesem Mord schien so etwas wie eine wohldurchdachte Brutalität zu stecken.
Giovanna Innocenti machte den Eindruck, als wäre sie inihrem Bett gekreuzigt worden. Die erste Frage, die dem Maresciallo durch den Kopf ging, war, ob sie in dem Moment, als sie an das Kopfende gefesselt worden war, begriffen
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