Schwarze Schafe in Venedig
drehte sich immer weiter um die eigene Achse und schraubte sich hinauf wie die Wendeltreppe in dem Turm, in den Graziella mich geführt hatte. Mir wurde leicht schwindelig, und dauernd schabte ich mir die Kniescheiben an den Stufen über mir, aber kurz bevor ich Beherrschung und Geduld verlor, öffnete sich die Treppe und mündete in einen entzückenden kleinen Flur.
Als Erstes fiel mir die Garderobe auf, die sich unter dem Gewicht diverser Hüte, Mäntel und Jacken bog, von Perücken ganz zu schweigen. Manche kannte ich schon – die mondäne blonde Fönwelle, den strengen schwarzen Bob und natürlich das feuerrote Tentakelteil –, während ich andere noch nie gesehen hatte. Ich muss gestehen, ich war heilfroh, dass Graziella nicht dazu gekommen war, mir ihr gesamtes Repertoire vorzuführen, denn ich mochte mir kaum ausmalen, welches Chaos diese zahllosen Begegnungen in meinem Leben angerichtet hätten.
Der Flur hatte einen auf Hochglanz polierten Holzboden im Fischgrätmuster, der fast ölig glänzte und durchdringend nach Putzmitteln roch. Auf beiden Seiten des Kleiderständers waren zwei kupferne Blumentöpfe platziert, in denen Plastiklilien wucherten, und einen Katzensprung weiter stand eine Porzellankatze. Die Figur war rabenschwarz und hatte grüne Keramikaugen, die im Schein meiner Taschenlampe wie Edelsteine funkelten. Man hatte sie sitzend in Porzellan gebannt, wie sie sich eine Pfote leckte, mit einem langen Schwanz, den sie um den Körper geschlungen hatte. Sie bewachte eine verschlossene Tür und zwei offene Türdurchgänge.
Eine der offenen Türen führte in ein kleines, aber feines Badezimmer. Das altmodisch braun gekachelte Kämmerchen war makellos sauber und stilsicher mit Duftkerzen und modischen Toilettenartikeln dekoriert. Neben dem Waschbecken lag ein Stapel ordentlich gefalteter Handtücher, blassgrün und flauschig, und der weiße Duschvorhang aus Plastik wirkte wie frisch aus dem Laden.
In diesem Badezimmer gab es nichts als angenehme Wohlgerüche, also überquerte ich den Flur und fand mich im Schlafzimmer wieder. Ein Futon fungierte hier als Bett – vermutlich weil man nichts anderes die schmale Wendeltreppe hinaufbekommen hätte, und auch das war vermutlich schon knapp gewesen. Das Bett war ordentlich gemacht, mit einer bestickten rosa Tagesdecke, auf der sich Kissen und Polster tummelten. An einer Seite hing eine Metallstange, brechend voll mit Kleidern, und in einer kleinen Wandnische türmten sich wahllos hineingestopfte Schuhe. Neben dem Bett stand statt eines Nachttischchens eine umgedrehte Holzkiste, darauf eine Schachtel Zigaretten. Auf dem Boden neben der Kiste stapelte sich ein Stoß Taschenbücher.
Neugierig nahm ich das oberste Buch in die Hand, und ein Lesezeichen aus Leder flatterte mir entgegen. Das Buch war etwa zu einem Drittel gelesen. Darunter lagen vier weitere Bücher, allesamt mit zahllosen Rissen im Rücken, und man sah auf den ersten Blick, dass etliche Seiten sogar eingeknickte Eselsohren hatten. Einige der gekennzeichneten Seiten schaute ich mir genauer an und stellte fest, dass darüber hinaus etliche Stellen mit Kugelschreiber markiert waren – manche Absätze waren unterstrichen, anderswo waren Fragezeichen an den Rand gemalt oder kleine Smileys.
Ich blätterte die Seiten mit dem Daumen durch und spürte den Lufthauch im Gesicht. Wie klein die Welt doch war. Das Buch hatte ich auch gelesen. Mehrmals sogar. Denn der Autor war zufälligerweise ich selbst.
Zusammen bildeten die fünf Titel die vollständige Michael-Faulks-Einbrecher-Krimireihe. Jeder Schutzumschlag war in einer anderen knallig-grellen Farbe gehalten, und auf jedem stand vorne mein Name drauf, ganz unten in bescheidenem Schwarz, und hinten war das etwas irreführende Autorenfoto zu sehen. Das neueste Exemplar war schon ein paar Jahre alt. Es hieß Der Dieb und ich und war einer gewissen Victoria Newbury gewidmet, Meiner großartigen Agentin.
Hmm, was nun? Auf dem Boden lag ein Kuli, den schnappte ich mir und zog die Kappe mit den Zähnen ab. Dann blätterte ich zur ersten Seite, lockerte die Arme und fing an zu schreiben.
Liebe Freundin, als Fan meiner Kriminalgeschichten werden Sie diese Wendung vielleicht zu schätzen wissen. Ihr Freund, der Graf, ist nicht tot – es geht ihm gut, und er ist in Polizeigewahrsam. Beste Grüße, Charles E. Howard.
Schwungvoll rammte ich den Kugelschreiber in die Seite und hinterließ einen eindrucksvollen Punkt. Ich war richtig stolz darauf, wie schön
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