Schwarze Schafe in Venedig
zum Verwechseln ähnlich, die Graziella mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte.
Die Pistole hatte ich zuletzt gesehen, als ich meine Gürteltasche im Schlafzimmer auf den Boden fallen gelassen hatte, wo wir Borelli dann festgebunden hatten. Da hatte ich auch den Grafen zum letzten Mal gesehen, weshalb man wohl davon ausgehen konnte, dass er der Kerl mit der Knarre war.
Borelli war hochrot im Gesicht und schwitzte wie ein Schwein. Stirn und Oberlippe waren von einem öligen Film überzogen, und die welligen grauen Haare klebten ihm am Kopf, als hätte er sie mit feuchten Händen zurückgestrichen. Die Pistole schien ihm fast aus den schweißnassen, fettigen Fingern zu rutschen, aber eben nur fast. Es reichte nicht, um Graziella und Wurzelsepp das Leben angenehmer zu machen.
Er sah lächerlich aus in den Sachen, die er anhatte, was mich allerdings nicht weiter verwunderte, schließlich waren es meine Sachen. Kapuzensweatshirt und ausgewaschene Jeans, dazu ein Paar müffelnder Turnschuhe. Die Jeans war ihm zu lang, und mit dem Kapuzenshirt sah er aus, als steckte er mitten in einer Midlifecrisis. Mit uns anderen verglichen war er eindeutig nicht dem Anlass entsprechend gekleidet, schließlich trugen wir allesamt elegante Abendgarderobe. Unter anderen Umständen hätte ich ihm nur zu gerne angeboten zu tauschen. Aber ich bezweifelte, dass er darauf eingehen und mir meine Kleider samt des pistolenförmigen Accessoires zurückgeben würde.
Die Pistole hatte er vermutlich entdeckt, als er in meine Klamotten gestiegen war, aber noch immer waren einige Fragen offen. Fragen wie, warum wurde er nicht gerade von der Polizei vernommen? Wenn ihn die Polizisten gefunden hatten, die ich vor meiner Wohnung gesehen hatte, warum hatten sie nicht darauf bestanden, meine Kleidungsstücke als Beweismittel in diesem Entführungsfall sicherzustellen? Und schön und gut, Borelli mochte vielleicht einflussreiche Freunde haben, aber die Polizei konnte doch nicht einfach beide Augen zudrücken, während er auf Rache sinnend mit einer Waffe durch Venedig streifte, die er von einem Tatort hatte mitgehen lassen.
Ich wusste es nicht, und es sah auch nicht aus, als würde ich in nächster Zukunft eine Antwort auf meine vielen Fragen bekommen. Borelli reckte das Kinn, schaute uns von oben herab an und kläffte Graziella auf Italienisch an. Sie hob die Hände und trat rückwärts vom Tisch zurück. Er bellte Wurzelsepp dieselbe Anweisung zu, und der haarige Schmutzfink gehorchte auch ohne Übersetzung. Allerdings ließ er sich nicht hetzen. Mir schien, schnell tat er nie etwas, und seine widerwillige Reaktion auf die freundliche Aufforderung des Grafen legte die Vermutung nahe, dass er nicht zum ersten Mal mit einer Schusswaffe konfrontiert war.
Borelli wartete, bis sie genügend Abstand zum Tisch hatten. Dann trat er vor und schnappte sich den Koffer, als wäre er eigens für ihn hierhergebracht worden. Er wog den Koffer in der Hand und wackelte mit dem Kopf hin und her, als sei er eine Waage, dann zischte er Graziella wieder irgendwas auf Italienisch zu. Ihre Antwort war ein verstocktes Nicken. Mir war nicht ganz klar, was er sie gefragt hatte, aber ich konnte es mir denken. Wäre ich an seiner Stelle, ich würde mich auch vergewissern wollen, dass alles da war – sämtliche 500 000 Euro –, und seinem fiesen Grinsen nach zu urteilen, zu dem sich seine Lippen kräuselten und das sein Gesicht in zwei Hälften spaltete, hatte sie ihm das gerade bestätigt.
Langsam schob er sich rückwärtsgehend zur Tür, wobei er Graziella und Wurzelsepp mit der Pistole in Schach hielt. Keine Ahnung, ob er ein guter Schütze war, aber ich nahm an, die Chancen, einen der beiden zu treffen, waren ziemlich hoch, was die beiden offenkundig genauso sahen. Graziella schien vor Wut und Frustration geradezu zu brodeln. Ihre Augen wurden ganz schmal, und sie reckte trotzig das Kinn, rührte sich aber nicht von der Stelle. Wurzelsepp seufzte laut und lehnte sich auf sein gesundes Bein.
Borelli war jetzt auf meiner Höhe. Zusammengekauert, wie ich da am Boden lag, hätte ich ihn eigentlich bloß an den Fußgelenken packen und ihn von den Beinen reißen müssen, und wäre dies eine Szene aus einem Hollywoodfilm gewesen, dann hätte das Drehbuch an dieser Stelle sicher genau das von mir verlangt. Das Problem dabei war bloß, genau wie ein Schauspieler, der eine Rolle anlegt, musste ich mir über meine Motivation im Klaren sein, und ganz ehrlich, mir wollte
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