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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Ewan
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beim besten Willen einfach keine gute Begründung für diesen heroischen Akt einfallen. Nach allem, was Alfred mir über ihn erzählt hatte, ganz zu schweigen von seiner Prügelattacke mit der Pistole, hatte ich allen Grund zur Annahme, dass man den Grafen mit Fug und Recht als Bösewicht bezeichnen könnte. Andererseits waren Graziella und ihr Wurzelsepp auch keine Säulenheiligen, und sollte ich den Grafen tatsächlich im Alleingang entwaffnen, war das noch lange keine Garantie dafür, dass sich meine Ausgangslage dadurch wesentlich verbesserte. Und das Übelkeit erregende Pochen und Hämmern in meinem Kopf und die Schweißausbrüche machten die Sache auch nicht besser. Außerdem wäre da noch die unbedeutende Tatsache, dass der Graf eine verdammt große Knarre in der Hand hatte – eine Waffe, die in einem Handgemenge schon mal versehentlich losgehen und dabei durchaus auf irgendein lebenswichtiges Körperteil meiner Wenigkeit gerichtet sein könnte.
    Hmm. Immer diese Entscheidungen. Lieber ruhig liegen bleiben und sich nicht erschießen lassen oder als draufgängerischer Held in die Geschichte eingehen, mit einem blutigen Krater dort, wo früher mal die Pulmonalarterie war.
    Schockierend, ich weiß, aber ich entschied mich für Variante A.
    Und ich wage zu behaupten, mit dieser Entscheidung hätte ich auch ganz gut leben können. Doch dann kam Borelli auf die dämliche Idee, eine Abschiedsrede zu halten. Alle Bösewichter scheinen so eine Ansprache in der Schublade zu haben, und er bildete da keine Ausnahme. Wobei es mir natürlich leichter gefallen wäre, seine kleine Rede zu verstehen, hätte er sie auf Englisch gehalten, mit seinem starken italienischen Akzent, oder wenn wie durch Zauberhand am unteren Bildrand kleine Untertitel eingeblendet worden wären, denn so war mir, ehrlich gesagt, das Allermeiste von dem, was er sagte, ein völliges Rätsel. Bis auf eins. Er spie einen kurzen Satz aus und fuchtelte großspurig mit der Pistole herum, dann wies er damit auf den Buchladen unter uns, und fletschte fies grinsend die Zähne.
    Graziella fiel in sich zusammen. Ihre Knie gaben nach, und sie kippte in den Wurzelsepp hinein, klammerte sich an seinen Kamelhaarmantel und schrie und schluchzte herzzerreißend. Sie vergrub das Gesicht hinter seinem breiten Rücken, als wolle sie sich vor den Worten des Grafen schützen.
    Aber alles umsonst. Wenn überhaupt, schien ihn das nur noch mehr anzuspornen. Er redete unverdrossen weiter und schien sich an dem Schmerz zu weiden, den er ihr zufügte, und dann mimte er irgendwas. Es war klar, was er da nachäffte. Stellen Sie sich den Aktenkoffer als menschlichen Kopf vor. Und dann stellen Sie sich vor, die Pistole ist, nun ja, eine Pistole. Und nun stellen Sie sich vor, wie er die Pistole gegen den Aktenkoffer presst – und tut, als drücke er ab. Der Dreckskerl machte sogar ein leises Plöpp -Geräusch mit den Lippen.
    Sprachbarrieren hin oder her, nun war es sonnenklar, dass Graziellas Onkel sich nicht selbst erschossen hatte. Borelli hatte ihn auf dem Gewissen. Und gemessen an der perversen Freude, die er allem Anschein nach beim Erzählen empfand, schien ihn sein Gewissen deshalb nicht zu drücken.
    Rückblickend kann ich nicht behaupten, meine Motivation hätte sich in der kurzen Zeit grundlegend verändert. Aber irgendwas bei mir machte klick, vor allem, als ich Graziella sah, die nur noch ein schniefendes Häufchen Elend war. Zusammengekauert lag sie da, klammerte sich verzweifelt an Wurzelsepps Hose und schlug mit dem Kopf immer wieder gegen die Tür des Schränkchens unter der Spüle. Und ja, gut möglich, dass ich Feigling die Rolle versaute, die ich eigentlich spielen sollte, aber in diesem Moment übernahmen meine Gefühle das Kommando, und ich schaute fasziniert zu, wie ich eine Hand in die Untiefen meiner Hosentasche schob, mit dem Daumennagel den Deckel des Pfeffersprays abschnippte und hochschoss wie eine Furie.
    Zwar hatte ich das Überraschungsmoment auf meiner Seite und somit jede Menge Zeit, den Zerstäuber zu betätigen. Nur zum Zielen reichte es leider nicht mehr. Nein, die Düse zeigte nicht auf mein Gesicht, aber sie zeigte auch nicht auf Borelli. Und so feuerte ich einen schönen kleinen Pfefferspraystrahl an die Wand neben uns, wo das Zeug einen hässlichen braunen Schmierfleck hinterließ, und noch ehe ich meinen Irrtum korrigieren konnte, hatte Borelli sich auch schon mit wutverzerrtem, angeekeltem Gesicht umgedreht und so schnell mit der Pistole

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