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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Ewan
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durch den stechenden Schmerz in meinem Schädel und starrte in das klaffende Loch am anderen Ende des Pistolenlaufs und fragte mich, ob es das Letzte sein sollte, was ich in diesem Leben sehen würde.
    Mein Gehör funktionierte allerdings noch einwandfrei, und was war das doch für eine kostbare Gabe, denn so konnte ich belauschen, wie Graziella etwas auf Französisch sagte, mit heiserer, kratziger Stimme, aber unmissverständlicher Dringlichkeit. Zwar war mein Französisch bestenfalls rudimentär, aber immerhin besser als mein Italienisch, und ich hatte den Eindruck, sie bat Wurzelsepp, mich nicht zu erschießen.
    Reglos sah ich zu, wie seine fleischige Pranke den Griff nachfasste und er die Pistole fester packte. Ich leckte mir die Lippen und riskierte einen Blick nach oben. Er sah mich nicht an – sein Blick fixierte die Stelle an meiner Brust, wo mein Herz gerade eine muntere kleine Melodie klopfte, die ich Angsthasengalopp nennen würde.
    »Remi«, sagte Graziella. Wenigstens wusste ich jetzt, wie er hieß. Wobei das auch kein Trost war. » Pose ton arme.« Leg die Pistole weg. Komisch, wie schnell mein Französisch sich verbesserte. Wer weiß, wenn er mich nicht umlegte, vielleicht würde ich dann, bis ich starb, fließend Französisch sprechen. » Pose ton arme« , sagte sie abermals, und zu meiner nicht unerheblichen Erleichterung zuckte er die Achseln, kratzte sich den Bart und tat, wie ihm geheißen.
    Die Pistole hing schlaff in seiner Hand und sah in der gewaltigen Faust aus wie ein winziges Plastikspielzeug, und dann gestattete ich mir den Luxus, einmal tief durchzuatmen. Ich ging sogar so weit, mich etwas aufzurichten und auf die Ellbogen zu stützen und etwas Luft in Richtung meiner Stirn zu pusten. Das nenne ich mal einen Schlüsselerkenntnismoment . Langsam wagte ich zu hoffen, ich könne womöglich doch noch lebend aus dieser Sache rauskommen.

Achtunddreißig
     
    Körperumfang und Masse zum Trotz war Remi flink wie ein Wiesel. Ich hatte mein Glück noch nicht ganz fassen können, da hatte er Graziella bereits grob auf einen Küchenstuhl gezerrt, ihr die Pistole in die kraftlose Hand gedrückt und ihren Arm so auf dem Tisch platziert, dass der Ellbogen auf der Platte ruhte und sie mit der Pistole auf mich zielte. Als er mit seinem Werk und ihrer Zielrichtung zufrieden war, nickte er und humpelte ins Badezimmer, nur um gleich darauf mit einem Stapel Handtücher und dem Duschvorhang zurückzukommen, den er von der Stange gerissen hatte. Dabei pfiff er eine fröhliche Melodie, in der er ganz aufzugehen schien, während er sich an die Arbeit machte und die beiden Schusswunden an der Brust des Grafen mit Handtüchern abdeckte, um dann den leblosen Körper in den Duschvorhang einzuwickeln, bis er eingeschnürt war wie in einen Kokon. Diese seltsame Hausarbeit schien ihm überhaupt nichts auszumachen; zumindest ließ er sich nichts anmerken. Ich kannte Menschen, die hatten mehr Stress beim Staubsaugen.
    Graziella dagegen war völlig geistesabwesend. Sie schien gar nicht mitzubekommen, was Remi da tat, und rührte sich auch nicht vom Fleck, als er den Aktenkoffer nahm und zwischen ihren Füßen auf den Boden stellte. Kurz unterbrach er sein kleines Pfeifkonzert und schaute sie an, als fragte er sich, ob auf sie Verlass sei, dann stierte er abermals den Lauf der Pistole entlang. Dann endlich schien er zufrieden, murmelte ihr schnell noch ein paar Anweisungen ins Ohr und strubbelte ihr durch die Haare, dann wuchtete er den folienverschweißten Leichnam auf seine ausladenden Schultern, als schleppte er ein riesiges vakuumverpacktes Fischfilet, und tappte dann, musikalisch von seinem selbst getrillerten Titellied untermalt, ungeniert aus dem Zimmer.
    Auf der Wendeltreppe verhallten seine unregelmäßigen Schritte allmählich und ließen uns in tiefem Schweigen zurück. Mein Blick wanderte zu dem dunklen Fleck auf dem Boden, wo Borelli gelegen hatte, dann zu den leeren Patronenhülsen und weiter zu Graziella. Ihre Augen waren wie schwarze Strudel, rosarot gerändert gegen die bleiche Haut, und ihre Lippen formten einen fast so perfekten Kreis wie der leblose Pistolenlauf.
    Auf der Küchenuhr hinter ihr verstrichen zwei Minuten. Dann drei.
    »Was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?«, fragte ich.
    Ein Muskel an ihrer Wange zuckte. Nicht gerade ein unmissverständliches Zeichen der Zustimmung, aber vermutlich durfte ich in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht mehr erwarten.
    »Ich mache ganz langsam«, sagte

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