Schwarze Schafe in Venedig
draußen war. Und wo ich schon dabei war, sammelte ich noch rasch mein Brillenetui ein, meine Gummihandschuhe und mein restliches Einbrecherwerkzeug, dann stopfte ich mir den Umschlag mit den Informationen über den Palazzo Borelli in die Manteltasche, zog vorsichtig den Koffer unter meinem Bett hervor und schlich an Victorias Zimmer vorbei, um mich auf meine tollkühne Mission zu begeben.
Der Palazzo war ein Ausbund bröckelnder veneto-byzantinischer Pracht und stand stolz an einer ausladenden Biegung des Canal Grande, flankiert vom Palazzo Mangilli-Valmerama auf der einen und einem engen Durchgang mit dem Namen Ramo Dragan auf der anderen Seite. Vier Etagen war er hoch, und die zartgelbe Fassade, die Marmorlöwen und diverse Abbildungen des Familienwappens der Borelli zierten, wurde von einem imposanten Steinbalkon beherrscht, der sich über die gesamte Breite des Gebäudes zog, unterbrochen nur von einer Reihe gedrechselter Steinsäulen und byzantinischer Bögen.
Auf den Balkon gelangte man durch die gläsernen Fenstertüren des piano nobile , und er erstreckte sich über drei Metallschleusen, über die man vom Kanal her zum Palazzo kam. Dieser Zugang schien allerdings nicht sehr häufig in Gebrauch zu sein. Es gab keinen schwimmenden, von rotweiß gestreiften Zuckerstangen-Pfählen umringten Holzsteg zum Ankern, wobei allerdings ein nahegelegener Ponton aus dem finsteren Verbindungsgang zwischen den Häusern ein wenig in den regenpockigen Kanal hineinragte. Da die Vorderseite viel zu ungeschützt und leicht einsehbar war, von nass ganz zu schweigen, beabsichtigte ich, mir durch den trockenen Fußes zu erreichenden Hintereingang Zugang zu verschaffen.
Die Rückseite des Palazzo war von einem mit hohen Mauern geschützten Garten umgeben, halb überwachsen von struppigen, tropfnassen Sträuchern. Selbst wenn ich ein Seil dabeigehabt hätte – was nicht der Fall war –, hätte ich mit dem sperrigen schweren Koffer im Gepäck die feuchten Backsteinmauern niemals erklimmen können. Ein Glück also, dass ganz hinten, in der allerletzten Ecke, ein hohes Metalltor in die Mauer eingelassen war, und nur ein ziemlich großes Zylinderschloss, ein Alarmsensor, eine Sicherheitsleuchte und eine Überwachungskamera standen mir noch im Weg.
Ich ging hin, aber nicht zu nahe heran, stellte den Koffer auf dem glitschigen Boden zu meinen Füßen ab, dehnte die Finger meiner guten Hand, drehte mich um und spähte den düsterschmuddeligen Durchgang hinunter. Es war niemand zu sehen, was mich nicht weiter verwunderte. Der beengte Pfad endete abrupt an einem Holzponton und dem eisigen Wasser dahinter, und das einzige Grundstück, zu dem er führte, war das, an dem ich gegenwärtig ein gesteigertes Interesse hatte.
Es war ein komisches Gefühl, mutterseelenallein in der tintenschwarzen Gasse zu stehen, während der Nieselregen sich wie kleine Perlen auf meine Haare legte, nur einen Katzensprung von der trubeligen Strada Nova, ihren kitschigen Restaurants, den Bars mit der englischsprachigen Bedienung und den Souvenirläden entfernt. Das hier war das private Venedig hinter den Kulissen, das niemand kannte außer seinen wohlhabendsten Bewohnern, der einen oder anderen verirrten Seele und dem gelegentlichen Dieb wider Willen.
Ich griff mir an den Kopf, packte einen Zipfel meiner Wollmütze und rollte den Strickstoff über mein Gesicht, bis die Augenschlitze an der richtigen Stelle saßen. Eigentlich trage ich nur ungern Skimasken. Terroristen und Berufskriminellen sei Dank hat dieses Kleidungsstück einen denkbar schlechten Ruf, und mir hat immer schon bei der Vorstellung gegraust, mit einer Skimaske vor dem Gesicht gesehen und mit einem bewaffneten Räuber verwechselt zu werden. Heute Abend jedoch hatte ich mich überzeugen lassen, meine übliche Herangehensweise zu überdenken. Zum einen waren da die Überwachungskameras, und zum anderen hatte ich mir diesen Auftrag weder selbst ausgesucht noch die nötigen Vorbereitungen übernommen, weshalb es sinnvoll erschien, so vorsichtig wie möglich vorzugehen. Und außerdem hielt die Skimaske mein Gesicht schön warm und trocken.
Entschlossen hob ich den gewichtigen Aktenkoffer an und marschierte auf das Tor zu, wobei ich die Sicherheitsleuchte auslöste. Ich war entschlossen, mich streng an mein patentiertes Drei-Schritte-Programm für gesetzestreue Bürger auf dem Weg der moralischen Besserung zu halten.
Erster Schritt: Ich stellte den Koffer ab, stieg drauf und kraxelte am
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