Schwarze Schafe in Venedig
verkneifen.
»Hör mal, wenn du es so furchtbar findest, dann sag es mir einfach«, meinte sie. »Davon geht doch die Welt nicht unter, oder?«
»So furchtbar finde ich es nicht ... noch nicht. Um ganz ehrlich zu sein, weiß ich nicht so recht, was ich davon halten soll. Ich habe bisher nur die ersten Kapitel gelesen, also kann ich eigentlich noch gar nichts dazu sagen.« Ein bisschen hilflos zuckte sie die Achseln. »Vermutlich habe ich bloß Muffensausen.«
»Muffensausen? Ich bin derjenige, der monatelang vorbereitet und recherchiert und das blöde Ding geschrieben hat.«
»Aber genau das meine ich doch. Ich weiß, wie wichtig dir dieses Buch ist, Charlie. Ich weiß, welche Hoffnungen du darauf setzt.« Sie senkte die Stimme und beugte sich über den Tisch zu mir, um ihre Hand auf meine zu legen. »Ich weiß, welches Opfer du gebracht hast, um dieses Buch zu schreiben, okay?«
Ach verdammt. »Und?«
»Und ich fürchte, es wird mir nicht gefallen. Und ich fürchte, dass ich am Ende diejenige sein werde, die dir das sagen muss.«
Hmm. Ob es ihr wohl leichter fiele, würde ich ihr gestehen, dass ich meinen Lebenswandel als diebische Elster doch noch nicht ganz aufgegeben hatte? Ja, dass ich gerade wie auf glühenden Kohlen saß, weil ich auf Abruf bereitstand, um auf fremdes Geheiß in ein Luxusanwesen einzubrechen?
»Genau da liegt mein Problem«, entgegnete ich und zog meine Hand weg. »Mir ist es am allerwichtigsten, dass du ehrlich zu mir bist – und mir geradeheraus sagst, wenn es Bockmist ist.«
»Okay.« Sie schluckte schwer und wendete den Blick nicht von ihrem Weinglas.
»Bitte, bitte«, meinte ich. »Trink ruhig.«
»Gleich. Moment noch. Zuerst musst du mir was versprechen.«
Verständnislos schaute ich sie an. Erst zögerte sie, doch dann schien sie sich zum Weiterreden zu zwingen.
»Selbst wenn das Buch mir nicht gefallen sollte – diese eine Geschichte, die du mir gegeben hast –, möchte ich, dass du nicht wieder auf die schiefe Bahn gerätst. Du bist gut, Charlie – wirklich gut –, und eines Tages wird die ganze Welt das merken. Aber manchmal dauert es eben ein bisschen länger, bis man da ist, wo man hinwill, also versprichst du mir, dass du nicht wieder in schlechte alte Gewohnheiten verfällst?«
»Hä?«
»Stehlen und Einbrechen«, flüsterte sie. »Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass du wieder in Schwierigkeiten gerätst.«
»Ach das «, meinte ich abfällig und trank einen ordentlichen Schluck Prosecco. »Herrje, nichts läge mir ferner.«
Zehn
In meinem neuen Roman habe ich mich an einigen Neuerungen versucht, darunter auch der Erfindung eines wirklich bezwingenden Schurken als Gegenspieler für den allseits beliebten Michael Faulks. Weshalb ich in der Vorbereitungsphase Stunde um Stunde damit zubrachte, Faulks sämtliche Stärken gnadenlos zu sezieren und dann einen Gegner zu ersinnen, der ihm in jeder Hinsicht haushoch überlegen ist. Am Ende kam dabei ein gewisser Don Giovanni heraus, ein zwei Meter großer, zwei Zentner schwerer Mafiapate, dessen Netzwerk aus Vollstreckern und Kriminellen bis weit über die Landesgrenzen Italiens hinausreicht. Don Giovanni wohnt in einer schwer bewachten Villa am Ufer des Lido, von wo aus er sein Verbrechersyndikat lenkt. Als Schachgroßmeister, Shaolin-Kung-Fu-Ass und preisgekrönter Züchter von Dogo-Argentino-Kampfhunde war er der unbezwingbarste Gegner, dem zu begegnen Faulks je das Pech hatte.
Kurz und gut, ich wusste alles, was ich über den Paten von Veneto jemals wissen wollte, und noch viel mehr, und kannte die Gefahr, die von ihm ausging. Weshalb ich nicht einfach darüber hinwegsehen konnte, dass ich im Grunde genommen überhaupt nichts über meine eigene Kontrahentin wusste. Und viel wichtiger noch, ich hatte keinen Schimmer, was in dem Aktenkoffer war, den Graziella mir gegeben hatte, und ob irgendwas von der Geschichte, die sie mir seine Rückgabe betreffend aufgetischt hatte, überhaupt stimmte. Ich wusste nur, dass sie eine talentierte Einbrecherin war, und mir drängte sich der Eindruck auf, dass sie irgendwie in der Klemme steckte. Und würde mich jemand danach fragen, könnte ich eine recht gute Einschätzung ihrer Körbchengröße abgeben, aber darüber hinaus tappte ich völlig im Dunkeln.
Und doch trottete ich, ehe ich michs versah, um Viertel nach elf abends durch nieseligen Schneegriesel und die muffigen, gewundenen Gässchen von San Marco in Richtung des Stadtteils Cannaregio.
Knapp eine
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