Schwarze Schafe in Venedig
den Tisch anstierte und missvergnügt nach meinem Glas griff. Auf die Blubberbläschen hätte ich gut verzichten können. Schaumwein ist nicht gerade der ideale Begleiter für miese Laune. Und er ist auch kein guter Auftakt für einen Abend, der vielleicht mit einem Einbruch enden könnte. Ganz deutlich spürte ich das Gewicht des Handys in meiner Hosentasche, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, wann es losgehen könnte.
Vielleicht wäre ich nicht ganz so grantig gewesen, hätte ich nicht einen Platz mit Blick aufs Fenster gehabt. Irgendwo da draußen, jenseits der funkelnden Kerzen und der übrigen Gäste, die sich in der Scheibe spiegelten, lag der Palazzo Borelli. Diese kleine Gedächtnisstütze hätte es eigentlich nicht gebraucht. Nur ungern ließ ich mich daran erinnern. Konnte ich doch ohnehin kaum an etwas anderes denken.
»Ist es wegen des Manuskripts?«, fragte Victoria.
Ich senkte den Blick und rückte den Dessertlöffel auf der Tischdecke zurecht. »Und wenn?«
»Dann sollten wir lieber darüber reden, meinst du nicht auch? Schließlich bin ich deine Agentin.«
»Ach, dann hast du das also noch nicht vergessen.«
» Charlie.«
» Entschuldige.« Ich schaute nicht auf. Mir schien, auch die kleine Gabel lag nicht an der richtigen Stelle. »Ich meine ja bloß, nach dem ausgiebigen Stadtbummel und allem, da könnte man doch durchaus auf den Gedanken kommen, du hättest meinen Roman möglicherweise vollkommen vergessen.«
Victoria atmete hörbar durch. Mir drängte sich der Eindruck auf, dass sie im Kopf leise bis zehn zählte. Und ich fragte mich, wie weit sie wohl kommen würde, ehe sie mich zusammenfaltete und vor dem ganzen Restaurant zur Schnecke machte.
»Charlie, ich will ganz ehrlich sein.«
Ach herrje. Ein Satz, der so anfängt, kann einfach nicht gut enden. Langsam wünschte ich mir, ich hätte das Thema gar nicht erst angesprochen – vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte Victoria einfach ohne ein weiteres Wort nach Hause fahren lassen und wir hätten beide getan, als hätte sie mein neuestes Manuskript nie gesehen.
»Schau mal«, meinte sie, »ich habe mir doch gerade mal die ersten Kapitel angeschaut. Ich hab mich noch gar nicht richtig eingelesen. Aber es ist irgendwie so ...«, sie schaute an die Decke auf der Suche nach dem richtigen Wort, »anders.«
Himmel, warum rammte sie mir nicht einfach gleich ein Messer in den Bauch? Anders. Das war ja ganz toll. Als Nächstes kam sie mir jetzt sicher mit der abgedroschenen »Über Geschmack lässt sich nicht streiten«-Floskel.
»Sieh mal, ist doch alles Geschmackssache, das weißt du selbst.« Hab ich’s doch gesagt. »Was dem einen seine Eule, ist dem anderen seine Nachtigall. Stimmt’s?«
»Ach verstehe«, meinte ich. »Und was du damit sagen willst, ist – es gefällt dir nicht.«
Victoria zuckte zurück, als hätte ich ihr unter dem Tisch gegen das Schienbein getreten. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich sie nicht unter dem Tisch getreten hatte. Obwohl, eigentlich gar keine so schlechte Idee.
»Es ist ja nicht so, als würde es mir per se nicht gefallen. Es ist bloß so ...«
»Anders?«
»Genau.«
Wie auf ein geheimes Kommando griffen wir nach unseren Weingläsern, wobei wir uns misstrauisch beäugten, als wüssten wir beide nicht so genau, welcher der beiden Glaskelche das tödliche Gift enthielt. Wir schluckten hörbar und stellten die Gläser dann beiseite. Victoria fuhr mit der Fingerspitze am Rand des Glases entlang, und ich spielte mit Salz- und Pfefferstreuer herum.
»Mir kommt es sehr kommerziell vor«, erklärte Victoria mit fast entschuldigendem Tonfall. »Beinahe schon zu sehr.«
»Genau das war meine Absicht«, brummte ich und schob den Pfefferstreuer hinter das Salzfässchen, wie ein Zauberer, der einen Hütchentrick vorbereitet. »Du willst es doch verkaufen, oder?«
»Ja, aber als Faulks-Krimi weiß ich nicht, wie gut es in die Reihe der anderen Titel der Serie passt.«
»Vielleicht passt es gar nicht. Vielleicht landet es endlich in dem Regal mit den Büchern, die sich tatsächlich verkaufen.«
Victoria griff nach meiner Hand, damit ich Salz und Pfeffer stehen ließ. Gerade wollte sie noch etwas sagen, als der Kellner zurückkam. Er zog den Korken aus unserer neuen Prosecco-Flasche und goss den munter sprudelnden Alkohol in die Gläser.
Ich schaute Victoria in die Augen. Sie grinste spöttisch und hielt sich die Hand vor den Mund. Und ich konnte mir das Lächeln auch nicht mehr
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