Schwarze Schafe in Venedig
Stunde zuvor hatte Graziella mich angerufen, kurz nachdem ich Victoria nach Hause gebracht und zugesehen hatte, wie sie mit meinem Manuskript als Begleiter ins Bett geschlüpft war. Ich war gerade in der Küche gewesen und dabei, eine Tasse Tee für Victoria zu kochen, und der Teekessel mit seinem Lärm hatte praktischerweise meinen Anteil unserer kurzen Unterhaltung übertönt.
»Es geht los«, hatte Graziella etwas atemlos verkündet. »In einer halben Stunde sind wir im Casino. Haben Sie den Aktenkoffer?«
»Ja, den habe ich«, entgegnete ich. »Und ich nehme an, Sie haben mein Buch auch noch?«
»Dann haben Sie meine Hinweise gelesen? Sind sie so weit?«
Was meine Frage zwar nicht beantwortete, aber ich beschloss, es gut sein zu lassen. »Ich bin so weit. So weit ich sein kann. Sind ganz sicher Bedienstete auf dem Gelände?«
» Si. Aber nur zwei, soweit ich weiß.«
»Sonst noch was, das Sie mir mit auf den Weg geben möchten?«
»Seien Sie äußerst vorsichtig. Machen Sie keinen Fehler. Und wenn Sie den Koffer in den Tresorraum bringen, dann stellen Sie ihn irgendwohin, wo er ihn sofort sieht.«
»Soll ich ihn vielleicht gleich öffnen?«
»Machen Sie darüber keine Witze. Der Koffer bleibt zu, unbedingt.«
Huch, ganz schön empfindlich, die Dame. »Sonst?«
»Sonst sterben Sie.«
Just in dem Moment, als der Teekessel anfing zu pfeifen, legte sie auf. Na, das nenne ich mal die Daumenschrauben anziehen. Innerhalb eines kurzen Telefonats war aus einem konfiszierten Roman eine Todesdrohung geworden. Was wohl jemandem mit etwas mehr gesundem Menschenverstand als mir sehr zu denken gegeben hätte. Streng genommen war es eine Entwicklung, wie ich sie sonst mit Victoria für einen meiner Krimis besprach.
Hmm. Ob das wohl der richtige Zeitpunkt wäre, sie einzuweihen?, fragte ich mich. Aber irgendwie glaubte ich, es wäre besser, sie da rauszuhalten. Würde ich ihr erzählen, in was für einen Schlamassel ich wieder hineingeraten war, sie würde die Geschichte ganz sicher nicht mit meinen Augen sehen. Nein, sie würde davon anfangen, die Polizei zu benachrichtigen, und selbst wenn ich sie davon abhalten könnte, wäre ihr schrecklich unbehaglich bei dem Gedanken, dass ich in den Palazzo einbrach. Viel zu riskant, würde sie sagen. Zu viele Unbekannte. Und wissen Sie was? Sie hätte vollkommen Recht.
Nachdenklich brachte ich ihr den Tee ins Schlafzimmer, dekoriert mit zwei Keksen. Die beiden Schoko-Vollkornkekse hatte sie einzig und allein meinem schlechten Gewissen zu verdanken.
»Dieser Teil funktioniert ganz prima«, erklärte sie mir mit einem gezwungenen Lächeln, das mich an den Blick erinnerte, mit dem mich mein alter Kunstlehrer immer bedacht hatte, wenn ich mit Plakatfarbe und Kartoffelstempeln mal wieder ein kleines Meisterwerk geschaffen hatte.
»Ach? Welcher denn?«
Worauf sie mir das Manuskript zuschob. In der angesprochenen Passage ging es um Faulks dritten Einbruch – der schrecklich in die Hose ging, weshalb er sehr unangenehm in die Bredouille geriet. Aber eigentlich glaube ich nicht an böse Vorzeichen.
»Hör zu, es tut mir leid wegen heute Abend – meine schlechte Laune und so«, sagte ich zu ihr.
»Schon okay, Charlie. Ich weiß doch, wie ihr Schriftstellertypen seid. Ich hätte ja auch etwas sensibler sein können.«
»Willst du noch lange lesen?«
»Ein, zwei Stündchen vielleicht.« Zwischen ihren Augen erschien eine Reihe steiler Falten. »Soll ich dich wecken, wenn ich aufhöre? Dir eine Rückmeldung geben?«
Ich schüttelte den Kopf und wedelte abwehrend mit den Händen. »Nein, das habe ich nicht gemeint. Hör zu, ich weiß, das klingt jetzt sicher verrückt, aber ich gehe noch ein bisschen spazieren.«
»Spazieren?« Mit einem Ruck setzte sie sich im Bett auf. »Aber es regnet. Und es ist schon spät.«
»Mir hilft es beim Entspannen«, sagte ich. »Um den Kopf freizubekommen.«
Victoria legte die Hände auf das Manuskript und beäugte mich skeptisch. »Wird das ein gesetzestreuer Spaziergang?«
Herrje, die Frau kannte mich etwas zu gut für meinen Geschmack.
»Und wie.«
Trotzdem beäugte sie mich noch einen Moment, als erwartete sie, ich könne mich verplappern und damit herausplatzen, was ich eigentlich im Schilde führte. »Also gut«, meinte sie schließlich. »Klopf kurz an, wenn du wieder da bist. Leise . Wenn ich noch wach bin, sage ich dir, wie weit ich gekommen bin.«
»Perfekt.«
»Ja, das bin ich. Und jetzt raus mit dir.«
Und wie schnell ich
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