Schwarze Schafe in Venedig
und machte taumelnd ein paar Rückwärtsschritte. »Du hättest mich beinahe erwischt.«
»Charlie? Ach du lieber Himmel. Es tut mir so leid. Was machst du hier?«
Sie krallte sich noch immer an den Abzug und schickte damit unablässig Stromstöße durch die Kabel, während ihre Schultern zuckten, als habe sie sich versehentlich selbst unter Strom gesetzt.
Es waren wirklich seltsame Zeiten. Wie oft kam es schließlich vor, dass ich in einer Nacht gleich von zwei bewaffneten Frauen bedroht wurde?
»Ich wollte dich wecken.« Vorsichtig hob ich eine Hand an mein Gesicht. »Das Ding ist direkt an meinem Ohr vorbeigesaust; ich habe den Luftzug gespürt. Du hättest mir mit diesem Teufelsapparat fast ins Gesicht geschossen.«
»Was zum Geier erwartest du denn?«, motzte sie mich an. »Ich dachte, du bist einer von den Bösen.«
Von Wortklaubereien mal abgesehen – schließlich hatte ich mich gerade bereiterklärt, einen Mann zu ermorden – hatte ich nicht den Eindruck, die Seiten gewechselt zu haben. Ich duckte mich unter den gedrehten Kabeln hindurch und ging zur anderen Seite des Raums, um die Deckenlampe anzuknipsen.
»Vielleicht lässt du den Abzug jetzt lieber wieder los«, legte ich Victoria vorsichtig nahe.
»Ach verdammt.« Victoria tat, wie ihr geheißen, und ließ dann die Waffe fallen, als habe sie sich die Finger daran verbrannt. »Ich weiß gar nicht, wie man die Drähte wieder einrollt.«
»Ich denke, vermutlich müsste man als Erstes mit einer Zange die Pfeile aus dem Türblatt ziehen.«
»Hoppla. Entschuldige bitte, Charlie.«
»Schon okay. Besser, als sie aus meiner Kehle operieren zu müssen, oder?«
Ich trat ans Bett und hob behutsam den Taser auf, um ihn dann rasch in eine Ecke zu werfen. Ich schüttelte mich. Irgendwie kam mir das Ding noch unberechenbarer vor als eine gewöhnliche Pistole.
Victoria legte die Hände auf die Knie. Zu dem Hemdchen trug sie Schlafshorts. Mir bleib kaum Zeit, diese Information zu verarbeiten, da hatte sie auch schon meinen Blick bemerkt und sich schnell unter der Bettdecke versteckt. Das hatte ich nicht beabsichtigt . Sie musste schleunigst raus aus dem Bett und ihre Sachen packen, nicht wieder unter der Bettdecke verschwinden. Und ich wollte auch ganz bestimmt nicht, dass sie annahm, ihre wirklich sehr ansehnlichen Beine oder irgendeinen anderen Teil ihrer Anatomie seien der Grund dafür, dass ich morgens um – was? – zwanzig nach vier ungebeten in ihrem Schlafzimmer stand.
»Wie spät ist es?«, fragte sie blinzelnd und kniff sich in den Nasenrücken.
Ich sagte es ihr und erklärte ihr dann, weshalb ich sie geweckt hatte.
Ich will nicht behaupten, die Farbe sei aus ihrem Gesicht gewichen, denn sie wirkte bereits alles andere als vergnügt und rosig, ehe ich ihr die schlechten Neuigkeiten verkündete, aber an einigen Stellen der Geschichte schien sie regelrecht zu frösteln, und als ich mit meinem Bericht fertig war, hatte sie die Hand vor den Mund geschlagen und schüttelte ununterbrochen den Kopf. Vielleicht war sie in einer Art Schockzustand. Was ich nur zu gut verstehen könnte. Für mich war es ja weiß Gott auch aufreibend genug gewesen, das alles live zu erleben.
»Hat Graziella dir wirklich eine Pistole dagelassen?«, fragte Victoria im Flüsterton.
»Warte kurz«, sagte ich und lief rasch nach unten, um in meinem Briefkasten nachzusehen. Und tatsächlich, diese verflucht große Pistole ebenso wie der mickrige Elektroschocker waren darin versteckt. Natürlich hatte ich nicht daran gedacht, mir schnell ein Paar Gummihandschuhe überzustreifen, weshalb ich noch mal ins Badezimmer flitzen und ein Handtuch holen musste, nur um dann abermals nach unten zu gehen und die Pistole herauszuholen. Graziella hatte Lederhandschuhe getragen, als sie mit der Waffe hantierte, weshalb kaum Hoffnung bestand, irgendwelche Fingerabdrücke darauf zu finden (und selbst wenn, würde mir das wohl nicht viel nützen), aber auf keinen Fall wollte ich meinerseits Abdrücke darauf hinterlassen.
Ich steckte den Elektroschocker in die Tasche und ging wieder nach oben. An meiner Wohnungstür blieb ich kurz stehen und begutachtete die Schlösser, die Graziella unschädlich gemacht hatte. Kein Hinweis darauf, dass jemand sich daran zu schaffen gemacht hatte, und auch keinerlei Anzeichen von Beschädigung. Saubere Profiarbeit. Was man von dem zertrümmerten Sensor nicht gerade behaupten konnte, auf dem sie höchstwahrscheinlich herzhaft herumgetrampelt war. Alles in allem
Weitere Kostenlose Bücher