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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Ewan
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verschlossen und reichte bis zu einem überhängenden Erker des Hauses, sodass kein Durchkommen mehr war.
    Ich kniff die Augen zusammen und konnte so gerade die Gasse ausmachen, die nach links abbog, in eine Dunkelheit, schwärzer und bedrohlicher als alles, was ich bisher je erlebt hatte. Die Versuchung, einfach umzudrehen und zurückzugehen, war groß – schließlich hätte ich mir einreden können, dass ich mich wohl doch geirrt hatte und Graziella gar nicht hier langgegangen war. Dann hörte ich ein metallisches Klappern, gedämpft, aber unverkennbar, wie das Läuten einer in Tücher gehüllten Kirchenglocke. Ungelenk stürzte ich weiter, wobei ich beinahe über einen Hydranten gestolpert wäre und an einer alten Eingangstür vorbeikam, die mit vielen Lagen zerfledderter Plakate beklebt war. Rechts von mir führte ein weiterer Durchgang ab, noch schmaler als der, in dem ich jetzt stand. Der Eingang war mit einem steinernen Torbogen über meinem Kopf geschmückt. Ich konnte so gerade die Inschrift auf dem kleinen gelben Schild erkennen. Scala Contarini del Bòvolo .
    Vorsichtig schlich ich weiter, die Hände fest gegen das zerbröckelnde Mauerwerk links und rechts gepresst, sämtliche Muskeln gespannt und bereit, jederzeit die Flucht zu ergreifen. Doch dann öffnete sich die Gasse ganz unerwartet zu einem verborgenen Innenhof, in dem das Mondlicht der Dunkelheit etwas von ihrem Schrecken nahm. Rechts von mir war eine kleine Rasenfläche, abgezäunt von einem Metallgitter mit zackigen Spitzen. Auf dem Rasen verteilt waren eine ganze Reihe Brunnenköpfe in allen Größen und Formen, deren weißer Stein im Mondlicht beinahe gespenstisch hell und transparent schimmerte. Hinter den Brunnenköpfen erhob sich die Fassade eines imposanten Palazzo.
    Das Hauptgebäude war etwa sechs Stockwerke hoch und bestand aus einer Reihe auf Stelzen ruhender Balkone, wurde aber beherrscht von einem zylindrischen Turm, in dem wohl eine Wendeltreppe nach oben führte. Die Vorderseite des Turms lag offen, ungeschützt den Elementen ausgesetzt, und war von einer konzentrischen Reihe Stützpfeiler gesäumt, auf denen Steinbögen ruhten, sodass jeder, der die Treppe hinaufstieg, von außen zu sehen war. Augenblicklich ging nur Graziella hinauf. Die rote Perücke und ihr blasses Gesicht erschienen gerade in der zweiten Rundung der Spirale.
    Wobei das mit dem Durchblick auch andersherum funktionierte. Beiläufig hob sie die behandschuhte Hand und winkte mir, ihr zu folgen, wobei sie mich mit einem kleinen gemeinen Lächeln bedachte. Meine saublöde Reaktion schien sie zu amüsieren. So viel zu meinen Fähigkeiten als Personenbeschatter. So viel dazu, meine Lage zu meinen Gunsten wenden zu können. Mich beschlich der Verdacht, sie könne mich bewusst hierhergeführt haben – und mir mal wieder einen Schritt voraus gewesen sein.
    Hätte ich mir den Luxus leisten können zu schmollen, dann hätte ich jetzt wohl die Beine in die Hand genommen und wäre nach Hause gelaufen. Aber irgendwie sah ich mich gezwungen, die Sache bis zum bitteren Ende durchzustehen und herauszufinden, wie tief ich tatsächlich in der Tinte saß.
    In dem mit Stacheln versehenen Geländer war ein Tor eingepasst, aber als ich es aufdrücken wollte, musste ich feststellen, dass es ungefähr auf Hüfthöhe abgeschlossen war. Hätte ich mein Werkzeug dabei gehabt, ich hätte es wohl ohne größere Mühe knacken können, was Graziella allem Anschein nach ebenfalls getan und es anschließend wieder abgeschlossen hatte – das Klappern des zuschlagenden Tors gegen den Metallrahmen erklärte wohl auch das Geräusch, das ich gehört hatte.
    Gottergeben schlüpfte ich aus meinem Jackett und warf es über die Metallzacken, dann hangelte ich mich an dem Gitter hoch, wobei ich mir große Mühe gab, mir beim Rüberklettern keine bleibenden Schäden zuzuziehen. Nachdem ich auf der anderen Seite auf die unebenen Steinplatten geplumpst war, griff ich nach meiner Jacke und wollte sie schwungvoll herunterzerren, nur um gleich darauf Stoff reißen zu hören. Dreck. Einer der Ärmel war fast völlig herausgerissen, und darunter kam das bloße Futter zum Vorschein. Egal. Ich steckte den Arm durch den zerfledderten Stoffrest und rannte zum Fuß der Steintreppe.
    Die Stufen waren trapezförmig und gleichmäßig hoch und führten mich beim Hinaufsteigen immer im Kreis herum. Ich lief aus der Dunkelheit ins Zwielicht und wieder zurück, aus dem Inneren des Turms in die mondbeschienene Öffnung, und

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