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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Ewan
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zwar nicht davon aus, dass er mich im Spiegel sehen konnte – und außerdem hatte er, wie es aussah, ohnehin nur Augen für sich selbst –, aber sobald ich mein Versteck verließ, bestand die Gefahr, entdeckt zu werden. Ich konnte zwar noch einen Moment abwarten, ob die Ausgangslage sich vielleicht noch verbesserte, aber die Vorstellung behagte mir nicht. Alles in allem hätte es wesentlich schlimmer sein können. Allem Anschein nach war er allein – selbst Männer mit großartiger Singstimme und übermäßig aufgeblasenem Ego sangen für gewöhnlich nicht mit derart leidenschaftlichem Gusto, wenn sie in Gesellschaft waren –, und wenn es mir gelänge, ihn hier in seinem Zimmer zu überwältigen, würde das die Wahrscheinlichkeit verringern, von einem seiner Angestellten überrascht zu werden. Und aus genau diesem Grund war ich auch nicht gerade scharf darauf, länger als unbedingt nötig hier herumzustehen. Lieber aufs Ganze gehen und dabei scheitern, als die Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen. Zumindest versuchte ich mir das einzureden.
    Ich kramte ganz tief unten in meiner Gürteltasche herum, bis meine Finger den harten Stahl der Pistole ertasteten. Mit aufgeschraubtem Schalldämpfer hatte sie so gerade eben in die kleine blaue Plastiktasche gepasst. Bei jeder Bewegung hatte ich sie wie eine Zentnerlast an meiner Hüfte gespürt, und trotzdem wurde ich jetzt bei ihrem Anblick ganz nervös. Vor allem, weil ich inzwischen festgestellt hatte, dass sie zweifelsfrei geladen war. Zwölf Kugeln, dicht an dicht ins Magazin gepackt, das im Griff steckte. Über das Kaliber kann ich nichts sagen und auch nicht, ob es zufälligerweise Hohlspitzgeschosse waren oder nicht, aber die Wirkung wäre ganz ohne Frage tödlich, vor allem, wenn man sie aus nächster Nähe abfeuerte.
    Ich wurschtelte also die Waffe heraus und wog ihr Gewicht in der Hand. Eigentlich war ich Rechtshänder, aber ich schloss die Finger der linken Hand um den pockennarbigen Griff und entsicherte die Pistole dann mit dem Daumen. Wenn es hart auf hart käme – oder Finger an Auslöser –, wollte ich nicht, dass meine Arthritis mich am Abdrücken hinderte.
    Mit der rechten Hand griff ich wieder in die Gürteltasche und holte ein weiteres Requisit hervor, dann hielt ich die Waffe in der ausgestreckten Hand, schluckte die aufsteigende Panik herunter und sah nach, ob er noch an seinem Platz stand. Inzwischen hatte er die Smokingjacke angezogen und richtete seine Manschetten, dann warf er sich selbst eine neckische Kusshand zu. Und in diesem Moment schlug ich zu.
    Im Handumdrehen war alles vorbei. Zwischen Tür und Zielobjekt lagen nicht mehr als drei Meter, und Langsamkeit konnte ich mir nicht leisten. Drei Schritte, und ich stand hinter ihm. Noch ein Schritt, und ich hatte einen Arm um seinen Hals geschlungen und riss ihn rückwärts von den Füßen. Er ruderte mit den Armen, rang erstickt nach Atem und wollte um Hilfe schreien, aber ehe er auch nur einen Mucks von sich geben konnte, hatte ich ihm auch schon Victorias kleinen Spezialstift in den Hals gerammt.
    Nie hätte ich damit gerechnet, das Beruhigungsmittel könne so schnell wirken. Fast schlagartig erschlaffte sein ganzer Körper, der Kopf kippte zur Seite, und ich schaffte es so gerade, ihn nicht fallen zu lassen und dabei versehentlich die Pistole abzufeuern, denn als er zusammensackte, fiel er mit seinem ganzen Gewicht auf die Hand, in der ich die Pistole hielt. Dort, wo die Spitze des Kulis die Haut am Hals durchstochen hatte, lief ein kleines Rinnsal Blut herunter, und ich sah, wie es in den feinen Baumwollstoff seines Hemds sickerte. Sein zurückgegeltes Haar roch nach Pomade mit einer feinen Zitrusnote, und ich dachte gerade noch, wie dämlich es war, auf solche Nebensächlichkeiten zu achten, als ich auch schon mit dem Grafen im Schoß in die Knie ging und sich die dröhnende Opernmelodie, wie mir schien, einem Höhepunkt näherte, der bedeutungsschwer von grausigen Schicksalen kündete, von unüberlegten Handlungen unwiderruflich in Gang gesetzt.

Fünfundzwanzig
     
    Der Graf war nicht besonders groß. Kleiner noch als ich und von schlankem sportlichem Körperbau brauchte er sich sicher nicht um Diäten zu scheren. Trotzdem brauchte ich all meine Kraft, um unter ihm hervorzukrabbeln und ihn an einem Arm hochzuziehen und dann in die Hocke zu gehen und ihn mir auf die Schulter zu hieven. Mit seinem Gewicht auf dem Buckel gerade zu stehen war ein Ding der Unmöglichkeit, und so

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