Schwarze Schafe in Venedig
hatten und in dem ich nun unsanft landete, mir mit seinen Dornen und Widerhaken ordentlich zusetzte, aber glücklicherweise kann ich berichten, dass ich darüber hinaus weder mit Stacheldraht noch Glasscherben das Vergnügen hatte. Und außerdem fand ich, nachdem ich ins Gras geplumpst war und auf dem Weg zum Innenhof durch die Dunkelheit tappte, ein paar Kratzer und Schrammen seien ein guter Tausch, wenn man dafür im Gegenzug inkognito bleiben konnte.
Da es ausnahmsweise einmal nicht regnete, tat es mir fast leid, nicht ein wenig verweilen und den einsamen, stillen Garten genießen zu können. Es war zwar tiefster Winter, doch es lagen immer noch dutzende von Düften und Aromen in der Luft, und da ich nun seit beinahe einem Jahr in Venedig lebte, war es ein ungewohntes Gefühl, mal wieder Gras unter den Füßen zu haben. Aber ich hatte ja einen Auftrag auszuführen und einen eng gesteckten Zeitrahmen einzuhalten, weshalb ich also auf das Kopfsteinpflaster des Hofs trottete und mich hinter den alten Brunnenkopf duckte, um die Lage oben im Haus zu sondieren.
In den oberen Stockwerken brannte auch an diesem Abend Licht. Ja, vermutlich waren es sogar genau dieselben Lampen wie bei meinem letzten Besuch. Die mächtige Haustür war wie beim letzten Mal verschlossen, und die Backsteintreppe, die dorthinaufführte, lag einladend im Dunkeln. Das Schloss war bekanntermaßen ein Klacks, und ich kannte auch die räumliche Aufteilung, aber der Gedanke, genau so vorzugehen wie beim ersten Mal, behagte mir ganz und gar nicht. Ich war zwar fest davon überzeugt, keine verräterischen Hinweise hinterlassen zu haben, wie ich mit der Bombe ins Haus gelangt war, aber da ich mir doch nicht ganz sicher sein konnte, schien eine neue Einstiegsroute angebracht.
Mit einem letzten Blick auf die erleuchteten Fenster vergewisserte ich mich, dass nicht gerade zufälligerweise jemand herausschaute, dann bückte ich mich und flitzte unter dem gewölbten Torbogen hindurch in den modrig müffelnden Vorratskeller. Den Verteilerkasten ließ ich diesmal links liegen. Würde ich den Strom abstellen, der Graf und sämtliche Angestellten wüssten sofort, dass ich auf dem Weg ins Haus war. Keine gute Idee. Um auch nur die geringste Chance zu haben, mein Vorhaben erfolgreich in die Tat umzusetzen, war das Überraschungsmoment unabdingbar. Genauso wie eine ordentliche Portion Glück.
Das Glück zeigte sich mir in Form einer Steintreppe, die aus dem Vorratsraum hinauf zum piano nobile führte, aber ich bilde mir gern ein, dass auch ein wenig Können dabei war. Denn hätte ich die Pläne nicht eingehend studiert, die Graziella mir gegeben hatte, oder mich bei meinem ersten Besuch vergewissert, dass sie tatsächlich korrekt waren, dann hätte ich nichts von dieser Möglichkeit geahnt. So aber hätte es einfacher gar nicht sein können. Es gab keine Schlösser, ja, es gab nicht einmal Türen. Einzig die Dunkelheit stellte eine gewisse Herausforderung dar, aber nachdem ich ganz kurz mit der Taschenlampe in die Passage vor mir geleuchtet hatte, konnte ich mich an dem als Handlauf dienenden Seil festhalten und mich mit seiner Hilfe nach oben vortasten.
Der zweite Treppenabsatz führte schnurstracks in den beeindruckenden Eingangsbereich, den ich vom letzten Mal schon kannte. Der Terrazzoboden, die Deckenfresken und die plissierten Seidenwaren versetzten mich auch diesmal wieder in ehrfürchtiges stummes Erstaunen – ein angenehmer Nebeneffekt, schließlich musste ich so leise wie möglich sein –, aber diesmal fiel es mir etwas leichter weiterzugehen, ohne dauernd stehen zu bleiben und alles mit offenem Mund zu begaffen.
Wobei ich mich wohl auch deshalb ganz auf meine eigentliche Aufgabe konzentrierte, weil ich mich ungern der Zerstörung stellen wollte, die ich hier angerichtet hatte. Soll ich Ihnen verraten, was ein kurzer Blick aus den Augenwinkeln mir offenbarte? Tja, schön war es jedenfalls nicht. Am anderen Ende des Raums war ein Teil der Wand mit dicken Plastikplanen abgehängt. Trotzdem konnte ich dahinter leere Stellen an der verputzten Wand erkennen, wo einst das eine oder andere kostbare Kunstwerk gehangen hatte, und neben einer schwer beladenen Schubkarre lagen etliche Schuttberge. Der Türrahmen zu dem Zimmer, in dem der Tresorraum untergebracht gewesen war, war zersplittert und verkohlt, und von der wunderschönen Nussbaumtür war nur noch ein Haufen teurer Streichhölzer übrig. Eine Reihe Metallstützen und -klammern waren gleich in der
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