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Schwarze Schafe in Venedig

Schwarze Schafe in Venedig

Titel: Schwarze Schafe in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Ewan
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seinem Hinterkopf verknotet hatten, besorgniserregend angeschwollen, und sein Smoking war schmutzig und zerknittert. Und dann war da auch noch die getrocknete Blutspur an seinem Hals, dort, wo ich mit dem Stift zugestochen hatte. Er sah aus, als sei er einem Vampirangriff zum Opfer gefallen – nur ohne die damit verbundenen Vorteile.
    Victorias Hauptargument für die Entführung war der Zeitgewinn gewesen. Zeit, den Grafen vor seinen Meuchelmördern zu verstecken, während wir zu ergründen versuchten, was hier eigentlich vor sich ging und ob wir irgendwas dagegen unternehmen konnten. Zeit, uns in die Lage zu versetzen, die Polizei alarmieren zu können, ohne dass man uns etwas anhaben konnte und die wahren Bösewichte gefasst wurden. Zeit, wenn uns das Glück wirklich hold war, mein Buch zurückzuholen, und falls alles schiefging, Venedig fluchtartig zu verlassen. Das Problem dabei war nur, wie mir nun aufging, als ich so mit der Skimaske über dem Gesicht in der unbeheizten Wohnung saß, ein blutendes, geschundenes Entführungsopfer vor der Nase und eine Unmenge von Fragen im Kopf, dass Zeit so ziemlich das Letzte war, was ich jetzt brauchte.
    Schwere Zweifel nagten an mir. Während der Tat, mitten in meinem famosen Gaunerstück, hatte ich mir den Luxus nicht leisten können, meinen Befürchtungen nachzuhängen. Doch nun gab es kein Entkommen. Wir hatten am Kanal gleich vor dem Haus ein gestohlenes Boot vertäut, das jeden Augenblick entdeckt werden konnte. Wir hielten einen stadtbekannten Bürger von Venedig gegen seinen Willen gefesselt und geknebelt fest, und das nicht mal achtundvierzig Stunden, nachdem ein Mordanschlag auf ihn verübt worden war. An dem ich unwissentlich beteiligt gewesen war, was man, mit den richtigen Beweismitteln, sicher gegen mich auslegen könnte. Nicht gerade eine sehr angenehme Ausgangslage. Herrje, statt mich von jeglichem Ärger fernzuhalten, schien ich ihn geradezu magisch anzuziehen.
    Sämtliche Instinkte schrien mir förmlich zu, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben. Und ich kam immer mehr zu der Überzeugung, dass ich diesen Irrtum möglichst schnell wiedergutmachen musste. Ich wusste bloß nicht, wie. Ohne es zu wollen, hatte ich eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die aufzuhalten oder gar umzukehren beinahe ein Ding der Unmöglichkeit schien. Jeden Augenblick konnte der Graf aufwachen – hätte sogar längst aufgewacht sein müssen, immer vorausgesetzt, dass mit dem Beruhigungsmittel nicht irgendwas schrecklich schiefgegangen war –, und obwohl Victoria noch zwei weitere Ampullen K.-o.-Tropfen in ihrem Waffenarsenal hatte, kam es für mich nicht in die Tüte, dem Kerl jetzt schon einen Nachschlag zu verpassen.
    Und wenn er dann irgendwann aufwachte – bitte, lieber Gott, lass ihn aufwachen –, was dann? Wie lange wollten wir ihn hier festhalten? Wie sollten wir ihn wieder freilassen, ohne uns selbst zu verraten? Würde er uns irgendwelche brauchbaren Informationen liefern können, oder wäre er womöglich zu schockiert und verängstigt, um überhaupt mit uns zu reden? Womöglich bekam er vor Schreck einen Herzinfarkt. Einen Herzinfarkt. Herrgott noch mal, warum war mir das nicht schon viel früher eingefallen? Der Mann hatte ohnehin schon Todesangst, und wir entführten den armen Tropf auch noch. Was sollte der denn anderes annehmen, wenn er wieder zu sich kam, als das Allerschlimmste? Wir waren solche Idioten. Komplette Vollidioten. Ich wusste beim besten Willen nicht, wie man so blöd sein konnte.
    »Gut, was?«, meinte Victoria.
    »Wie bitte?«
    »Na ja, ich finde, bisher ist es doch ganz gut gelaufen, alles in allem.«
    »Alles in allem? Bist du völlig irre? Ich fasse es einfach nicht, dass ich mich von dir dazu habe überreden lassen. Sieh dir doch nur an, was wir angerichtet haben!«
    »Ach, sei still und stell dich nicht so an. Es ist alles in bester Ordnung.«
    » Nichts ist in Ordnung.«
    »Er lebt doch, oder?«
    Mir klappte die Kinnlade herunter, dann wies ich auf den komatösen Grafen. »Er hätte längst wieder zu sich kommen müssen. Verdammt, Vic, bist du dir ganz sicher, dass in dem Stift wirklich bloß ein Beruhigungsmittel war?«
    »Hör auf herumzujammern. Er atmet schließlich noch, oder nicht?«
    Abfällig wedelte Victoria mit der Hand in Richtung des Grafen. Der Raum um uns herum lag im Dunkeln, aber wir hatten meine Schreibtischlampe von unten geholt und so aufgestellt, dass sie ihm direkt in die Augen leuchtete. Die geschlossenen

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