Schwarze Schafe in Venedig
Hüfte.
Der Graf kräuselte die Oberlippe und starrte auf die Seile, die wir ihm um Brust und Arme gewickelt hatten. Er spannte den Bizeps an. Dann versuchte er ächzend, mit einem Tritt seine Füße von den Stuhlbeinen zu lösen. Vergebens, aber er gab nicht auf. Es sah nicht gerade besonders gediegen aus, und es hörte sich auch nicht so an.
»Tick, tack«, sagte ich und klopfte mit dem Finger auf meine Armbanduhr. »Was haben Sie denn bloß? Verpassen Sie gerade einen wichtigen Termin?«
Leider hörte er mir nicht so aufmerksam zu, wie ich es mir gewünscht hätte. Er wehrte sich gegen seine Fesseln, wand sich und knirschte mit den Zähnen, als seien wir nicht mehr im selben Raum und sähen ihm dabei zu. Er war hochrot im Gesicht und schweißnass. Ich trat auf ihn zu und packte ihn an der Schulter. Ich musste fest zupacken, bis er sich auch nur im Geringsten anmerken ließ, dass es ihn störte.
»Hören Sie, wir machen Ihnen ein Angebot«, schlug ich vor. »Sie erzählen uns, was für ein Problem Sie haben, und dann lassen wir Sie frei. Wir lassen Sie laufen.«
Worauf er unwillig knurrte und versuchte, mir in die Hand zu beißen. Gerade noch rechtzeitig riss ich meine Finger weg, und seine Zähne streiften nur die Haut.
»Oh nein«, tadelte ich ihn. »Schön brav sein, dann verspreche ich Ihnen – ich gebe Ihnen mein Ehrenwort –, dass Sie, sobald Sie uns sagen, was los ist, ein freier Mann sind.«
Sein Kopf schoss in die Höhe, und er musterte mich mit wachsamem Blick. Man sah förmlich, wie es vor Zorn in ihm brodelte.
»Es wird immer später«, sagte ich zu ihm. »Also, was sagen Sie? Vertrauen Sie uns?«
Wortlos schaute er noch einmal zu Victoria rüber, dann senkte er den Blick in seinen Schoß, als schämte er sich in Grund und Boden. »Das Casino«, brummte er kaum hörbar. »Ich muss dahin.«
»Sehen Sie«, sagte ich und tätschelte ihm die Wange. »War doch gar nicht so schwer, oder?«
Achtundzwanzig
Vertrau keinem Gauner. Eine einfache Regel, die man dennoch stets beherzigen sollte. In der hohen Kunst der Entführung mochte ich vielleicht ein blutiger Anfänger sein, aber als Dieb war ich ein alter Hase und ein Profi in der Kunst, Menschen hinters Licht zu führen. Weshalb ich auch keinerlei Skrupel hatte, dem Grafen unverfroren ins Gesicht zu lügen. Herrje, wollte ich in diesem schmutzigen Geschäft immer mein Wort halten, hätte ich den Kerl längst erschießen müssen. Dabei wollte ich ja gerade verhindern, dass er so unsanft aus dem Leben schied. Ich wollte weder ihn auf dem Gewissen noch einen Mord in meiner Polizeiakte haben. Und wenn ich ihm eine dicke fette Lüge auftischen musste, um herauszufinden, wer ihn um die Ecke bringen wollte und warum, dann hatte ich nicht die kleinsten Bedenken, das zu tun.
Und darum plagten mich auch keine Schuldgefühle, als ich in meiner Gürteltasche nach Victorias kleinem Spezialkugelschreiber kramte, ihn mit einer zweiten Kartusche chemischer Schlafliedchen bestückte und ihm dann damit in den Hals piekste. Wie beim ersten Mal verlor er umgehend das Bewusstsein, worauf ich keine Zeit verlor, die Skimaske auszuziehen und ihn loszubinden.
»Was machst du denn da?«, fragte Victoria, während sie sich die Maske in die Haare schob und sich das Gesicht rieb.
»Ich will ihn ins Schlafzimmer bringen. Liegend ist es bestimmt angenehmer für ihn. Ich mache mir ein bisschen Sorgen um seinen Kreislauf und die Durchblutung.«
»Dann willst du ihn also nicht freilassen?«
»Natürlich nicht«, entgegnete ich ächzend, während ich die Fesseln an seinem Rücken zu lösen versuchte. »Jedenfalls noch nicht.«
»Und was ist mit dem Casino?«
»Das ist der zweite Grund, weshalb ich ihn vom Stuhl holen will. Der Graf und ich müssten in etwa gleich groß sein, meinst du nicht?«
»Hä?«
»Der Smoking«, erklärte ich. »Ich habe leider keinen, und ich hatte den Eindruck, das Casino ist ein echter Nobelschuppen.«
»Warte mal – heißt das, du hast vor, dahin zu gehen?«
»Aber ja doch. Und du kommst mit. Wobei du dich dafür, ohne dir zu nahe treten zu wollen, noch etwas herausputzen müsstest. Ach, und die Maske lässt du vielleicht besser zuhause.«
Nun muss man sagen, dass Victoria wirklich über viele Talente verfügt. Sie ist eine großartige Literaturagentin mit einem Händchen für tolle Geschichten, und eine Unstimmigkeit in einer Romanhandlung riecht sie hundert Meter gegen den Wind. Sie hat Nerven wie Drahtseile, und man kann Pferde mit
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