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Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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anderen und starrte in sein Aquarium.
    Irgendwann befreite Lan ihn aus seiner Lethargie. Mit einem Fax der Zulassungsbehörde trat sie zu ihm ins Büro. »Es kommen nur drei Jeeps in Frage, auf die die Beschreibung dieses Anwohners zutrifft. Alle gehören Privatpersonen.« Sie legte Ly eine Mappe auf den Schreibtisch. Sie hatte bereits die nötigsten Informationen zu den Haltern herausgesucht. Ly wunderte sich nicht weiter, dass sie am Sonntag im Präsidium war. Wenn es Arbeit gab, war sie immer zur Stelle.
    »Danke«, sagte Ly.
    »Übrigens, deine Frau hat heute Morgen dreimal angerufen.«
    »Was wollte sie denn?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht mit dir reden? Stell doch einfach mal dein Handy an. Ich bin nicht dein Telefondienst.«
    Ly zog das Telefon aus der Tasche und betrachtete das Display. Es war schwarz. Lan verdrehte demonstrativ die Augen.
    »Wirklich, Ly, du solltest es doch schaffen, ab und an den Akku aufzuladen. Du bekommst die einfachsten Dinge nicht auf die Reihe.«
    *
    Der erste Name auf Lys Liste war Nguyen Kim Thanh. Lan hatte notiert: geboren in Haiphong, 39 Jahre alt, verheiratet, eine siebzehnjährige Tochter, Parteimitglied, keine Vorstrafen. Nguyen Kim Thanhs Adresse war 3b, Phuong-Mai-Straße. Mit ihr wollte Ly anfangen.
    Die Phuong-Mai lag südlich des französischen Viertels. Ly fuhr wie immer mit der Vespa. Die Sonne brannte. Mit einer dieser Plastikschalen auf dem Kopf wäre es noch unerträglicher, dachte Ly, der sich der neuen Helmpflicht hartnäckig verweigerte. Da zahlte er lieber ab und an ein Bußgeld.
    In Höhe des Eisenbahnübergangs stand der Verkehr. 7, 6, 5. Die Ampel zählte im Countdown die Wartezeit. Hanoi hatte in moderne Ampeln investiert. Zufällig betrieb die Frau eines Ministers eine Ampelfirma. 3, 2, 1. Die Ampel sprang auf Grün um, und das Dröhnen der Motoren wurde lauter, trotzdem ging es nicht weiter. Ein Mann auf einer aufgemotzten Yamaha schaffte es trotzdem irgendwie,sich an Ly vorbeizudrängeln, und fuhr ihm dabei über den Fuß. Das Mädchen auf dem Sozius drehte sich um und glotzte Ly an.
    Nach der dritten Ampelschaltung konnte Ly sich hinter einem altersschwachen städtischen Bus einfädeln. Er hustete in dem schwarzen Qualm, der aus seinem Auspuff quoll, aber in seinem Windschatten kam er über die Kreuzung. Als er endlich in der Phuong-Mai-Straße ankam, fühlte er sich klebrig und verschwitzt. Der Wohnblock war einer dieser fünfstöckigen Betonbauten, die einst für höhere Funktionäre errichtet worden waren, was man sich heute nur noch schwer vorstellen konnte. Die Fassadenfarbe war abgeblättert, vor den Fenstern klebten käfiggleiche, vergitterte Balkone. Kreuz und quer zogen sich Stromkabel zwischen den Wohnungen und der Hauptstromleitung auf der Straße. Die Kader von heute wohnten anders.
    In einem Verschlag aus Wellblech saß eine zahnlose Frau vor Körben mit Reis, Knoblauch und Ingwer. Ihre Lippen waren vom Betelkauen rotschwarz verfärbt. Ly fragte sie nach der Wohnung von Nguyen Kim Thanh. Die Alte betrachtete ihn aus kleinen, überaus lebendigen Augen, antwortete aber nicht. Angesichts ihres Alters wiederholte Ly die Frage schreiend. Sie spuckte den blutroten Betelsaft vor seine Füße. »Sie sind von der Polizei, stimmt’s?« Sie zeigte auf einen Hauseingang. »Dritter Stock, rechts.«
    Ly sah an sich hinunter. Beige Stoffhose, brauner Gürtel, blaues Hemd. Lederschuhe. Wie konnte die Alte daran den Polizisten erkennen?, fragte er sich. Vielleicht schaute er so grimmig?
    Das Treppenhaus hatte weder Fenster noch elektrisches Licht. Es roch nach Feuchtigkeit. Aus einer der Wohnungen drangen laute Männerstimmen. Ly stieg in den dritten Stock hinauf. Er fand keinen Klingelknopf und klopfte. Die metallene Tür schepperte unter seiner Hand. Er hörte das Schlurfen von Pantoffeln auf sandigen Fliesen.
    »Wer ist da?«, fragte eine geschlechtslose Stimme.
    »Pham Van Ly. Ich suche Frau Nguyen Kim Thanh.«
    Ly hörte nur ein Murren, dann entfernte sich das Schlurfen der Pantoffeln. Wenig später öffnete eine Frau die Tür. Sie hatte die Haare hochgesteckt und trug einen traditionellen ao dai . Das kobaltblaue Oberteil über der weiten silbergrauen Hose klebte wie eine zweite Haut auf ihrer Brust. Den Hals umschloss ein hoher Stehkragen. Von der Taille abwärts war das Hemd an beiden Seiten geschlitzt und umspielte die Knie. Die Frau hatte ein längliches Gesicht mit schmaler Nase und etwas schräg stehenden Augen, womit sie keinem Ideal entsprach.

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