Schwarze Schilde
Tage, nachdem Hael seine Boten ausgeschickt hatte, trafen die ersten Häuptlinge ein. Der König hielt ein tägliches Festmahl ab, und innerhalb einer Woche waren alle Geladenen versammelt. Abends wurden Spiele und Wettkämpfe veranstaltet, dazu gab es Musik und Tanz. Tagsüber zogen die Männer in die Hügel, um auf die Jagd zu gehen. Die Stimmung war gelöst und fröhlich, und in den ersten Tagen kam es nicht zu ernsthaften Gesprächen. Außer von den beiden großen Stämmen waren auch Abgesandte anderer Völker erschienen, die am Rande der riesigen Steppe lebten. Am Abend des Tages, als die letzten Häuptlinge eintrafen, rief Hael alle Männer zur großen Versammlung auf.
Sie saßen um ein mächtiges Feuer herum auf dem Boden. Die Krieger und Häuptlinge waren in ausgezeichneter Stimmung, weil das Fest eine willkommene Unterbrechung des ansonsten eintönigen Winters bedeutete. Die Spätankömmlinge verpassten die Feier, aber Hael entschädigte sie dafür mit kostbaren Geschenken: mit bunten Schmuckstücken, guten Waffen und hochblütigen Cabos. Die Geistersprecher verhielten sich zurückhaltender als die Krieger und die Häuptlinge, schienen aber ebenso guter Laune zu sein. Hael hatten die letzten Zweifel an seiner Autorität vor vielen Jahren überkommen. Er war der alleinige Herrscher, da er als einziger zugleich Häuptling und Geistersprecher war.
Hael war kein König, wie er in den zivilisierten Ländern herrschte. Hier gab es keine dynastischen Traditionen und keine Monarchie. Bei den Matwas vererbte sich der Titel des Dorfhäuptlings, aber es wurden keine Stammbäume aufgeschrieben, und jeder Häuptling konnte wegen Unfähigkeit entlassen und sein Nachfolger durch allgemeine Abstimmung berufen werden. Bei den Amsi musste sich ein Mann in seiner Jugend als Krieger beweisen. Die klügsten und fähigsten Krieger wurden später Häuptlinge. Geistersprecher wurden als Kinder dazu bestimmt, erzogen und durften keinen anderen Beruf ausüben.
Hael stammte aus einem fremden Land und hatte sich zum Anführer dieser Völker aufgeschwungen, die in ihm den verheißenen Helden sahen, der ihnen zu großer Macht verhelfen sollte. Wenngleich er die Rechte eines Königs besaß, legte er jedoch Wert darauf, bei wichtigen Entscheidungen eine Häuptlingsversammlung einzuberufen. Selten wurde seinen Entschlüssen widersprochen, außer, um den Schein der Eigenständigkeit zu wahren, aber er wusste, dass sie sich gemeinsam zur Wehr setzen würden, wenn sie sich übergangen fühlten.
Nach der üblichen Willkommensrede gab Hael den Grund für die Versammlung bekannt und erläuterte die Kurzfassung des Berichtes, den ihnen seine Boten überbracht hatten. Sie lauschten zumeist schweigend, aber Hael bemerkte das Leuchten in ihren Augen, als er den Wohlstand erwähnte, der die jungen Krieger als Lohn für ihre Hilfe erwartete.
Dann tat jeder Häuptling seine Meinung kund, auch wenn er eigentlich nichts Wichtiges zu sagen hatte. Glücklicherweise sprach sich niemand gegen Haels Vorschlag aus. Sie alle waren kriegerische Männer, und der Frieden, der seit Haels Herrschaft vorhielt, erschien ihnen künstlich. Sie befürchteten, die jungen Männer würden verweichlichen. Deshalb freuten sie sich aufrichtig über diese Gelegenheit zum Kampf, die sich außerdem als recht lohnend erweisen konnte. Niemand war der Ansicht, Hael wolle einen persönlichen Rachefeldzug gegen Gasam durchführen. Ihrer Meinung nach hatte er einen sehr guten Grund, sich in den Krieg einzumischen. Es war vorteilhaft, die guten Beziehungen zu Neva noch zu verstärken. Natürlich hätte der Gedanke, dass sie jemals auf die Hilfe der Nevaner angewiesen sein würden, sie in schallendes Gelächter ausbrechen lassen, aber sie alle hatten inzwischen einen gesegneten Appetit auf die seltenen Waren entwickelt, die von Karawanen aus Neva ins Land gebracht wurden.
Nachdem der offizielle Teil der Beratung vorüber war, und die Männer sich aufgeregt über den bevorstehenden Feldzug unterhielten, gesellte sich Naraya, der alte Geistersprecher, zu Hael.
»Ich wusste, dass etwas passieren wird«, sagte er. »Seit mehreren Monden haben sich die Geister seltsam benommen. Das Land weiß, dass du es verlässt.«
»Ich kehre bald zurück«, versicherte Hael. Naraya war der erste gewesen, der ihn hier unterstützt hatte, der erste, der in ihm einen Günstling der Geister und den Verheißenen erkannt hatte.
»Ich weiß, dass es sein muss. Der Verheißene wird uns Macht bescheren,
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