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Schwarze Seide, roter Samt

Titel: Schwarze Seide, roter Samt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Carlott Fontana
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ahnte er
nicht. Er stand nur draußen vor dem Hotel in dem noch stillen
Morgen – nicht einmal die Arbeiten auf der Baustelle gegenüber
dem Eingang hatten zu dieser Zeit begonnen – und überlegte:
Was wohl Marion, diese ebenso leichtsinnige wie unbelehrbare
und vergnügungssüchtige Göre aus Hamburg, gerade tat? Aber
dann zuckte er mit den Schultern. War ja nicht seine Sache.
    Marions Eltern hatten sich bereits daran gewöhnt, daß ihre
Tochter nicht zum Frühstück erschien, aber als sie um zwölf Uhr
mittags immer noch nicht aufgetaucht war, wurden sie unruhig.
»Sie ist um neun Uhr ins Bett gegangen«, sagte Herr Rönsch
ungehalten. »Soviel kann ein Mensch doch gar nicht schlafen!« Er
lag auf seinem Liegestuhl am Ufer, las seine tägliche deutsche
Zeitung und ärgerte sich über die laute Musik aus dem Kofferradio
eines Mannes zwei Plätze weiter. Frau Rönsch cremte sich
gerade zum hundertsten Mal mit Sonnenöl ein. Ihr Sonnenbrand
begann sich allmählich zu schälen. »Ich gehe jetzt mal ins Hotel
zurück und sehe nach ihr!« sagte sie und erhob sich seufzend.
»Mir ist das alles nicht so ganz geheuer!« Sie ging ins Hotel zurück,
fuhr in den zweiten Stock hinauf und klopfte an Marions
Zimmertür. Nichts rührte sich. Sie klopfte noch einmal, diesmal
lauter, bekam aber keine Antwort und trat ein.
    Natürlich war das Zimmer leer. Das Bett schien unberührt, aber
inzwischen waren auch längst die Zimmermädchen hier gewesen
und hatten alles in Ordnung gebracht. Die Koffer lagen auf dem
Schrank, Kleidungsstücke waren über die Stühle geworfen, im
Bad stapelten sich Kosmetikartikel. Abgehauen war Marion
jedenfalls nicht; ihre Mutter kannte sie genug, um zu wissen, daß
sie zumindest auf ihre Kosmetik niemals verzichtet hätte. Frau
Rönsch tat etwas, was sie nie zuvor getan hatte: Sie durchsuchte
Marions Sachen, öffnete die Schränke, zog die Schubladen auf.
Sie stieß auf zwei schwarze Slips und ein Paar schwarzer Nahtstrümpfe
und schüttelte den Kopf. »Sehr ungewöhnlich. Solche
Sachen hatte sie früher nicht.« Aber dann überlegte sie: Was
wußte sie schon noch von Marion? Seit wenigstens einem Jahr so
gut wie nichts mehr. Vielleicht waren die Diskotheken, in die sie
immer ging, nicht ganz so harmlos? Hatte sie eigentlich eine
Ahnung, mit welchen Bekannten sich Marion inzwischen traf?
Aber dann schob sie die dunklen Gedanken rasch zur Seite. Nur
weil das Mädchen sich mal ein paar aufreizende Dessous gekauft
hatte… Was war schon dabei?
    Sie beschloß, ihrem Mann nichts davon zu erzählen. Womöglich
war alles ganz harmlos, und sie trafen Marion nachher am
Strand.
    Marions neuer Liebhaber entstammte einer ungarischen Familie,
die aber seit zwei Generationen in Jugoslawien ansässig war.
Er hieß Laszlo und handelte mit Autos, um seinen rechten Arm
ringelte sich vom Handgelenk bis zur Schulter eine tätowierte
Schlange, und von den Feinheiten der Liebe hatte er keinen
blassen Schimmer. Sie hatten zweimal in der Nacht miteinander
geschlafen, dann war Marion völlig erschöpft weggedämmert. Sie
wachte davon auf, daß Laszlo laut scheppernd ein Frühstückstablett
neben das Bett stellte.
    »Orangensaft, Kaffee, ein weiches Ei!« verkündete er mit dröhnender
Stimme. »Käse, Schinken… Was immer du möchtest,
Häschen!« Marion verspürte einen irren Hunger, aber sie hatte
Angst, daß wieder ein Beruhigungsmittel im Essen sein könnte
und schüttelte daher den Kopf. »Danke. Ich möchte nichts. Wie
spät ist es?« Laszlo begann mit gutem Appetit zu essen. Schmatzend
verzehrte er ein Stück Speck, das Fett lief ihm über das
Kinn, mit dem Ärmel seines schwarzgoldenen Seidenkimonos
wischte er sich darüber. »Wie spät es ist? Zwölf Uhr. Mittags. Du
hast lange geschlafen, Cherie. Aber wir haben uns ja auch ganz
nett ausgetobt in der Nacht, nicht wahr?« Er lachte. Marion
betrachtete ihn widerwillig. »Ich will nach Hause!«
    »Nach Hause? Warum denn, Mäuschen? Jetzt sei mal nicht so
hektisch! Warum willst du den lieben Laszlo allein lassen? War es
nicht schön zwischen uns?«
    »Doch. Es hat nichts mit dir zu tun, Laszlo. Ich will jetzt einfach
heim, das ist alles. Meine Eltern machen sich außerdem
bestimmt auch schon Sorgen.«
    »Ach, vergiß doch mal deine Eltern! Willst du immer die brave
Tochter sein? Und ich will meinen, daß du immer noch ein
bißchen Lust auf mich hast, Cherie. Es muß dir doch gefallen
haben… Wir Ungarn sind

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