Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
Frage an: Seid ihr nach Kopenhagen gefahren, um Drogen zu besorgen?«
»Willy«, sagte Tomme. »Willy wollte dort irgendwelche Geschäfte machen.« Er sagte das zum Fußboden, zu seinen Socken. »Ich sollte ihm nur Gesellschaft leisten.«
»Hast du diese Drogen gesehen?«
»Nein«, behauptete Tomme.
Er konnte Sejer nicht in die Augen schauen. Statt dessen murmelte er noch einmal, zum Boden gewandt: »Sie haben sicher mit seiner Mutter gesprochen, und dann wissen Sie doch, wie es war.«
»Ich weiß gar nichts«, sagte Sejer. »Mir sind nur Behauptungen mitgeteilt worden.«
Tomme spürte einen Stich im Kopf, und das Ticken setzte ein, in schnellem, eifrigem Takt. Es war nicht unerträglich, es tat nicht einmal weh. Aber als er sich überlegte, daß dieses Ticken sich vielleicht nie wieder legen würde, wurde ihm schlecht. Wenn er alles erzählte, würde das Ticken sein Tempo steigern und dann in einem lärmenden Inferno enden. Aber danach würde er dann die Stille zurückgewinnen. So dachte er über das, was in ihm passierte. Sejer wartete. Er konnte den Kampf sehen, der sich in seinem Gegenüber abspielte, er hatte ihn so oft gesehen und erkannte ihn sofort.
»Du hast gesagt, du habest Willy Oterhals zuletzt gesehen, als er beim Egertorg in der U-Bahn verschwunden ist«, sagte Sejer. »Stimmt das?«
Jetzt konnte Tomme nicht mehr. Er hatte sich so lange zusammengerissen, hatte so viel festgehalten, in seinem Magen schien sich ein Krampf zu entwickeln, es kniff, und eine Faust schien sich um sein Gedärm zu schließen. Er dachte: Diesen Schmerz kann ich nicht ertragen, ich will nur schlafen. Er fing an zu reden. Sofort lockerte der Schmerz sich ein wenig. Etwas von der Spannung schien zu versickern.
»Das stimmt nicht ganz«, flüsterte er und sah Sejer zum ersten Mal ins Gesicht. Bei diesem Geständnis wurde Ruth bleich vor Angst.
»Wann war das letzte Mal?« fragte Sejer. Er klang nicht bedrohlich, sondern nur energisch und deutlich.
»Auf dem Schiff«, sagte Tomme leise.
Dann schwieg er, um nachdenken zu können. Aus dem Augenwinkel sah er die Gestalt seiner Mutter; sie war ganz undeutlich, doch ihre Angst konnte er spüren.
»Diese Rückfahrt mit der Fähre«, sagte Sejer. »Der letzte Abend. Erzähl mir davon.«
»Wir haben die ganze Zeit in der Bar gesessen.« »Wie betrunken wart ihr, was meinst du?« Tomme überlegte. »Willy war ziemlich voll«, sagte er dann. »Ich war ziemlich nüchtern. Drei Bier«, erklärte er. »Und ich habe langsam getrunken.«
»Wie spät war es, als ihr die Bar verlassen habt?« »Weiß nicht so ganz. Mitternacht vielleicht.« »Seid ihr sofort in die Kabine gegangen?« Jetzt hatte Tomme Probleme. Hatte jemand sie gesehen? Er wußte, daß auf der Fähre überall Videokameras angebracht waren. Wie dicht konnte er wohl an der Wahrheit bleiben, ohne dabei unterzugehen? Er sah Sejer mit unsicherem Blick an.
»Wir haben noch einen Spaziergang an Deck unternommen«, sagte er kleinlaut. Er wollte unbedingt einen verzweifelten Eindruck machen, und das war ziemlich leicht, so, wie ihm gerade zumute war. Er war zutiefst verzweifelt. Und er hatte Angst, natürlich, vor alldem, was passieren kann, ohne daß man es will. Ruth wagte nicht, sich zu rühren. Ihr kam ein entsetzlicher Gedanke. Es war doch nicht normal, daß Willy verschwunden war, überlegte sie. Daß er ein Mann war und erwachsen und sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern konnte, half da nicht weiter. Er war verschwunden. Seine Mutter hatte die Polizei angerufen. Und Tomme war weiß wie ein Laken.
»War das dein Vorschlag?«
»Nein. Willy brauchte frische Luft«, sagte Tomme. »Und ich eigentlich auch.«
Sejer nickte.
»Während der ganzen Überfahrt war ziemlicher Wind«, sagte er. »Es war doch sicher dramatisch, mitten in der Nacht da oben zu stehen?«
»O ja. Ich mußte mich überall festhalten, wo es nur ging. Das Deck war glatt und naß. Und es war verdammt kalt. Wir haben gefroren wie junge Hunde.«
Er sprach jetzt mit festerer Stimme, denn das hier war die Wahrheit, und er konnte sich sehr gut daran erinnern.
»Gab es zwischen euch eine Meinungsverschiedenheit?«
Tomme zögerte und dachte noch einmal nach.
»Irgendwie schon. Ja.«
»Und worum ging es dabei?«
»Ich sollte Willy einen Gefallen tun. Aber das wollte ich nicht.«
»Was war das für ein Gefallen?«
Tomme spürte den Blick seiner Mutter. »Naja, Sie wissen schon. Wir sollten die Taschen tauschen. Ich sollte den Stoff durch den
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