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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nähe sie, so schnell ich kann. Zuerst muss ich die hier machen.«
    Ohne Zögern streckte Claudine den Finger aus und drückte zu.
    Hester verlor jegliches Zeitgefühl. Es hätte eine Viertelstunde sein können, aber auch eine Dreiviertelstunde, als sie schließlich alles getan hatte, was sie tun konnte. Mit Claudines Hilfe wickelte sie Martha den letzten Verband um den Hals, die Schulter und den Oberarm. Nur einmal warf sie einen Blick auf den ins Violette spielenden Fleck in der Nähe der Achselhöhle. Sie wusste nicht, ob es ein blauer Fleck war oder der Anfang einer Beule. Sie wollte es auch nicht wissen. Sie wuschen sie, so gut es ging, zogen ihr ein sauberes Nachthemd an und riefen dann Squeaky, damit er ihnen half, sie in eines der Zimmer im Erdgeschoss zu bringen. Dort legten sie sie in ein Bett und deckten sie zu.
    Claudine warf Hester einen forschenden Blick zu, aber sie fragte nicht, ob Martha überleben würde oder nicht. »Ich gehe die Küche sauber machen«, sagte sie kläglich. »Sieht aus wie in einer Schlachterei.«
    Â»Danke«, sagte Hester erleichtert. Sie fügte kein Lob hinzu. Claudine wusste, dass sie sich Anerkennung verdient hatte, und das war alles, was für sie zählte. Sie ging hinaus und schenkte Squeaky sogar ein leichtes Lächeln, als sie an ihm vorbeikam.
    Hester brachte die blutdurchtränkten Tücher hinunter in die Waschküche, wo sie auf Sutton traf, der einen erschöpften Eindruck machte. Sein schmales Gesicht war voller Schatten, als hätte es blaue Flecken, seine Augen waren hohl, die Stoppeln auf seinem Kinn weiß gesprenkelt.
    Â»War es so auf der Krim?«, fragte er mit einem schiefen Lächeln. »Gott steh den Soldaten bei, wenn es so war.«

    Sie hatte Mühe, sich daran zu erinnern, denn es kam ihr im Augenblick vor wie eine andere Welt. Sie war jünger gewesen und hatte sehr viel weniger besessen, was ihr kostbar war und wofür sie jetzt lebte. Man erlaubte sich nicht, über die Gewalt und den Schmerz nachzudenken, sonst wurde es unerträglich, und statt zu helfen wurde man selbst hilfsbedürftig.
    Â»So ziemlich«, antwortete sie und ließ die Tücher auf den Boden fallen. Eine ehrliche Antwort hätte zu vieler Worte bedurft, und dazu war sie zu müde. Vielleicht wollte Sutton es auch gar nicht so genau wissen.
    Â»Sind wir nicht einfältig und verrückt?«, sagte er mit verblüffender Sanftheit. »Man fragt sich, warum wir uns noch um uns kümmern, oder? Außer dass wir sonst niemanden haben, und um irgendwas muss man sich ja kümmern.« Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab. »Snoot!«, rief er, als er draußen im Gang war. »Wo bist du, du nutzloser kleiner Kerl?«
    Kleine Pfoten trippelten begeistert näher, und Hester lächelte, als der Hund aus dem Schatten schoss und zu seinem Herrchen lief.
    Nachdem sie die Tücher in kaltem Wasser eingeweicht hatte, ging Hester wieder nach oben. Sie konnte nicht viel für Martha tun, außer bei ihr sitzen, dafür sorgen, dass sich die Verbände nicht lockerten, ihr Wasser geben, wenn sie aufwachte, ihr die Stirn mit einem nassen Lappen abtupfen und versuchen, das Fieber in Schach zu halten.
    Fünf Minuten später kam Claudine mit einer Tasse Tee durch die Tür und reichte ihn ihr. »Trinkfertig«, sagte sie einfach.
    Das stimmte. Er war schon leicht abgekühlt, sodass Hester sich nicht daran verbrühte. Zudem war ein kräftiger Schuss Brandy darin, und Hester hatte den Eindruck, sie musste aufpassen, nicht in der Nähe der Kerzenflamme auszuatmen.
    Â»Oh!«, sagte sie, als das innere Feuer sich in ihrem Magen ausbreitete. »Vielen Dank.«
    Â»Dachte mir, Sie könnten’s brauchen«, antwortete Claudine
und wandte sich ab. Dann hielt sie inne. »Soll ich mal eine Weile bei ihr wachen? Ich rufe Sie, wenn was ist, Ehrenwort.«
    Hesters Kopf pochte, und sie war so müde, dass ihre Augen schmerzten. Wenn sie sie länger als eine Sekunde schloss, würde sie wahrscheinlich einschlafen. Der Gedanke, loszulassen und in die Bewusstlosigkeit zu gleiten, ohne dagegen anzukämpfen, war der schönste, den sie sich im Augenblick vorstellen konnte, schöner als Lachen, gutes Essen, Wärme, ja sogar Liebe – einfach nur eine Weile aufhören zu kämpfen. »Ich kann nicht«, hörte sie sich sagen und war erstaunt, dass die Worte tatsächlich aus

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