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Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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erst orientieren musste, wartete sie.
    So gelangten sie schließlich zur Hintertür, und Sutton, der daneben stand, öffnete sie. In der regennassen Nacht schimmerte das Licht der Laternen auf den Steinen, und die Rinnsteine waren überflutet. Zwei Männer warteten unter dem Dachvorsprung, die Hunde hockten geduldig zu ihren Füßen. Zwei weitere Männer lösten sich aus dem Schatten. Sie würden den Leichnam holen, sobald sie die Tür wieder hinter sich geschlossen hatten. Der Karren des Rattenfängers stand sicher irgendwo in der Nähe am Bordstein.
    Squeaky und Claudine ließen den Leichnam erleichtert zu Boden gleiten. Zur Verblüffung aller stand sie mit gesenktem Kopf noch einen Augenblick still im Regen.
    Â»Möge Gott der Herr Erbarmen haben mit ihrer Seele und sich an das erinnern, was Gutes in ihr war«, sagte sie leise. »Amen.« Sie hob den Kopf. »Was glotzen Sie so?«
    Squeaky sah sie finster an, in der Kälte zusammengekauert und am ganzen Körper zitternd.
    Â»Amen!«, antwortete er, dann sprang er über das nasse Pflaster zurück zur Küchentür, wobei er überall Wasser verspritzte. Claudine folgte ihm.
    Hester lächelte und dankte den beiden. In dem Augenblick erschien Bessie und verkündete, sie werde jetzt eine Weile übernehmen. Hester entschuldigte sich und ging die Treppe hinauf, um sich ein ruhiges Plätzchen zu suchen, wo sie sich ihrer Müdigkeit überlassen und ein paar Stunden schlafen konnte.
    Als sie erwachte, schien es ihr, als wären erst ein paar Minuten vergangen, doch es mussten einige Stunden gewesen sein,
denn durch die Fenster drang fahles Winterlicht. Flo stand neben ihr, das lange sommersprossige Gesicht vor Kummer verzerrt.
    Hester kämpfte gegen die Müdigkeit und richtete sich mühsam auf. Die Luft war kalt, und ihr Kopf schmerzte. »Was ist los, Flo?«, fragte sie.
    Â»Ich wollt Miss Mercy wecken. Sie sieht schrecklich blass aus, und ich krieg sie nicht richtig wach.«
    Â»Sie ist wahrscheinlich völlig erschöpft«, meinte Hester und zog fröstelnd die Decke um die Schultern. »Sie hat tagelang pausenlos gearbeitet. Wir können sie noch ein wenig schlafen lassen. Ich stehe auf. Ist in der Nacht noch irgendetwas passiert? Wie geht’s unseren Patientinnen?« Während sie sprach, tastete sie in ihren Achselhöhlen nach Beulen und konnte es fast nicht glauben, als sie keine fand.
    Â»Bei Minnie sieht’s schlimmer aus«, antwortete Flo und tat so, als hätte sie nichts bemerkt. Sie verstand sie vollkommen. »Hustet sich fast die Lunge aus dem Leib«, fuhr sie fort. »Ist aber immer noch sehr gesprächig, sodass sie’s wohl noch einen oder zwei Tage packt, das arme kleine Huhn. Teewasser ist fertig, wenn Sie runterkommen.«
    Â»Danke.«
    Flo ging hinaus und schloss die Tür hinter sich, und Hester stand steif und zitternd auf. Sie zog sich wieder an und wusch sich mit dem kalten Wasser aus der kleinen Schüssel, die sie für sich zur Seite gestellt hatte, das Gesicht. Dann ging sie nach unten, um den Tee zu trinken, den Flo ihr angeboten hatte, und ein wenig Toast zu essen. Dank Margarets nicht nachlassender Bemühungen hatten sie genügend Lebensmittel und Heizmaterial. Sie schob den Gedanken an Margaret beiseite, denn sie vermisste sie zu sehr, vor allem ihre Ermutigung und das Wissen, dass sie ihr einfach einen Blick zuwerfen und sicher sein konnte, dass sie einander auf einzigartige Weise verstanden. Das Gefühl der Einsamkeit würde sie lähmen, wenn sie es zuließe.

    Auch den Gedanken an Monk verdrängte sie, denn sonst würde sie in Tränen ausbrechen. Sie durfte nicht daran denken, je wieder mit ihm zusammen zu sein – seine Stimme zu hören, seine Berührungen und seine Lippen auf ihrem Gesicht zu spüren –, denn alles in ihr sehnte sich danach. Ebenso wenig ertrug sie die Vorstellung, dass sie ihn womöglich nie wiedersehen würde, denn das raubte ihr jede Hoffnung. Er war die einzige Belohnung, die ihr wichtig war und sie durch Erschöpfung, Mitleid und Kummer trug.
    Sie war schon halb die Treppe hinuntergegangen, als sie das Gefühl beschlich, es sei vielleicht doch besser, nach Mercy zu schauen. Wahrscheinlich war sie nur erschöpft. Sie war eine junge Dame von Stand und sicher ziemlich behütet aufgewachsen. Die anstrengende körperliche Arbeit, ganz zu schweigen von der

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