Schwarze Themse
»Inspector Durban von der Wasserpolizei. Ich beobachte Sie erst seit ein paar Tagen hier am Fluss. Sie behaupten, Arbeit zu suchen, aber mir scheint nicht, als suchten Sie wirklich welche. Warum, Mr. Monk?«
Monk hätte ihm nur allzu gerne die Wahrheit erzählt, aber er wagte es nicht. Er war Clement Louvain verpflichtet, und er brauchte das Geld.
»Ich arbeite lieber mit dem Kopf, als den Rücken krumm zu machen«, antwortete er und legte eine Aufsässigkeit in seine Stimme, die er gar nicht empfand.
»Hier unten auf den Docks wird selten ein Kopfarbeiter gebraucht«, meinte Durban. »Zumindest nicht legal. Illegale Arbeit gibtâs, wie Sie sicher wissen, jede Menge. Aber ich frage mich, ob Sie wirklich wissen, wie gefährlich das ist? Sie würden nicht glauben, wie viele Leichen wir aus dem Wasser fischen, und niemand verrät uns, wie sie da reingekommen sind. Ich würde ungern erleben, dass Sie eine von ihnen sind, Mr. Monk. Seien Sie einfach ein bisschen vorsichtig, ja? Geben Sie sich nicht mit solchen Leuten wie Little Lil Fosdyke, Fat Man oder Mr. Weskit ab. Für mehr Raffsäcke, als wir schon haben, ist kein Platz mehr. Haben Sie mich verstanden?«
»Ich bin mir sicher, dass Sie Recht haben«, antwortete Monk, der das Lügen verabscheute. »Ich würde gerne Botengänge ausführen und Menschen zu Diensten sein, die ihre Arbeit nicht alleine schaffen. Ich kaufe oder verkaufe nichts.«
»Wirklich â¦Â«, sagte Durban ungläubig. Seine Miene war in der schlechten Beleuchtung nicht zu deuten, aber seine Stimme klang traurig, als hätte er eine bessere oder doch zumindest nicht so dicke Lüge erwartet.
Monk erinnerte sich mit einer schmerzlichen Eindringlichkeit daran, dass er einmal in exakt der gleichen Situation gewesen
war â er war auf einen gut gekleideten, redegewandten Mann gestoÃen, von dem er hoffte, dass er nur zufällig durch die heruntergekommene Gasse lief, hatte jedoch innerhalb weniger Minuten erkennen müssen, dass der Mann ein Dieb war. Er erinnerte sich, wie enttäuscht er gewesen war. Er holte Luft, um sich Durban zu erklären, und stieà einen Seufzer aus. Erst, wenn er sich Louvains Geld verdient hatte.
»Ja, wirklich«, sagte er ärgerlich. »Guten Abend, Officer.« Damit ging er die StraÃe hinunter zu der hell erleuchteten DurchgangsstraÃe, wo er einen Omnibus nehmen würde. Er musste noch einmal umsteigen, aber dann war er zu Hause.
4
Oliver Rathbone saà in einem Hansom, der sich zügig durch den Londoner Verkehr von seinem Haus zu dem von Margaret Ballinger bewegte. Sie würde ihn als sein Gast zu einem Abendkonzert eines herausragenden Geigers begleiten. Das Konzert wurde zugunsten einer achtbaren Wohltätigkeitseinrichtung gegeben, und es würden viele gesellschaftlich wichtige Leute dort sein. Rathbone war nach der neuesten Mode gekleidet, elegant genug, um Bewunderung zu erregen, und doch nicht so elegant, dass er den Eindruck erweckte, er lege es darauf an. Ein wahrer Gentleman musste sich keine Mühe geben, um zu gefallen, das war ihm in die Wiege gelegt worden.
Und doch fühlte Rathbone sich nicht ganz wohl. Er saà ziemlich aufrecht und nicht gerade entspannt auf dem Sitzpolster. Er hatte viel Zeit, aber er konnte nicht anders, als ständig aus dem Fenster zu schauen und das gelbe Glitzern der StraÃenlaternen, das sich in den Regenböen auf der nassen StraÃe spiegelten, und die vertrauten Ecken zu betrachten.
Es war ein eilige Einladung gewesen, die er ihr tags zuvor etwas
impulsiv gemacht hatte. Er wusste nicht mehr genau, worum sich das Gespräch gedreht hatte, aber es hatte sicher etwas mit der Portpool Lane zu tun â wie so oft. Wäre eine andere Frau so zielstrebig gewesen, hätte es ihn sicher gelangweilt, aber er erfreute sich immer noch an der Begeisterung in ihrer Miene, wenn sie von der Arbeit dort sprach. Er interessierte sich sogar für das Wohlergehen einiger Patientinnen, von denen sie erzählte, sorgte sich um ihre Gesundung, empörte sich über die erlittene Ungerechtigkeit, freute sich über den Erfolg. So etwas war ihm noch nie passiert. Er unterwarf sein Berufsleben strenger emotionaler Disziplin. Seine auÃergewöhnlichen Fähigkeiten stellte er in den Dienst derer, die ihn brauchten, naturgemäà Menschen, die eines Verbrechens beschuldigt wurden, doch seine persönlichen Gefühle
Weitere Kostenlose Bücher