Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
aufgewühlt nach oben.
»Wenn wir zurückgehen, schnappt uns entweder Dee oder die Polizei.«
Tatsächlich war außerhalb des Schlosses bereits der gedämpfte Klang von Polizeisirenen zu hören. Lukas zog Millepertia zu der offenstehenden Tür des Securitybereichs. Ohne auf den Sachsen zu achten, der noch immer gefesselt im Monitorraum lag, rannten sie den Gang mit den Türen entlang und gelangten so zu einem vergitterten Fenster, das auf den großen, mit zahlreichen Büschen bepflanzten Schlosshof führte. Millepertia zückte ihre letzte Springwurzel und öffnete es, so dass sie ins Freie gelangten.
Auch dort herrschte Aufruhr. Noch zweimal musste Millepertia sich verwandeln, um sich und Lukas mittels ihrer Hartheugestalt im begrünten Schlosshof vor vorbeistürmenden Museumsangestellten zu verbergen. Auf diese Weise schafften sie es, den Ostausgang zu erreichen und das Residenzschloss zu verlassen. Da zu diesem Zeitpunkt vor dem Eingang die ersten Polizeiwagen hielten, dauerte es noch eine weitere halbe Stunde, doch schließlich erreichten sie das Parkhaus und ließen sich schwer atmend in die Sitze des Horchs sinken.
»Was sollen wir jetzt tun?«, keuchte Millepertia.
Lukas zuckte mit den Schultern. Er wusste es nicht. Stattdessen betrachtete er den bewusstlosen Homunkulus, dessen warmer Leib sich in seinen Händen seltsam anfühlte. Auch der Grüne Dresden, den sie erbeutet hatten, vermochte nicht darüber hinwegzutäuschen, dass ihr Sieg teuer erkauft war. Er wollte etwas sagen, als Millepertia plötzlich aufschrie. Etwas in ihrer Jackentasche leuchtete purpurrot.
»Was ist das?«, rief Lukas.
Millepertia zog aufgeschreckt Dees Kristallkugel aus der Jacke. »Das hier«, keuchte sie. »Ich dachte, wenn ich sie an mich nehme, hindere ich Dee daran, zu zaubern.« Panisch kurbelte sie die Seitenscheibe herunter, um die Kugel hinauszuwerfen, als in dieser das gealterte Gesicht des Engländers erschien und mit durchdringender Stimme zu sprechen begann: »Lukas Faust! Wo auch immer Sie jetzt stecken: Sie haben etwas, das mir gehört. Aber auch ich besitze etwas, das Sie vermutlich haben wollen.« Er zerrte den bewusstlosen Abraham ins Bild. »Falls Sie also nicht wollen, dass die Seele Ihres Gönners in die Hölle fährt, hören Sie mir jetzt gut zu.«
Das Menetekel
D er alte Horch rumpelte über den Waldweg, und Zweige streiften das Verdeck. Lukas stoppte den Wagen, als sich die Tannen um sie herum lichteten und ihr Ziel in Sicht kam. Vor ihnen, auf einem waldigen Bergrücken, zeichnete sich jene Burgruine im Mondlicht ab, von der Dee behauptet hatte, dass es sich bei ihr um sein deutsches Domizil handle. Das alte Gemäuer war noch etwa fünfhundert Meter entfernt. Auf Lukas wirkte es düster und bedrohlich.
»Da sind wir«, stöhnte er.
»Hauptsache, wir retten Abraham.« In Millepertias Augen stand Verzweiflung. »Wir dürfen nicht zulassen, dass ihm etwas passiert.«
Er nickte. »Ich möchte ihn auch retten, Mille«, sagte er sanft, »aber wir müssen auch an den Adamanten denken. Abraham würde nicht wollen, dass die zweite Teufelsträne zerstört wird.« Er sah Millepertia an, deren Gesicht im Mondlicht weich und verletzlich wirkte. »Hör zu: Ich verlasse mich auf deine Rückendeckung. Aber ich will nicht, dass du dich unnötig in Gefahr begibst. Versprich mir, dass du nur dann eingreifst, wenn unser Plan schiefläuft.«
»In Ordnung.« Millepertia strich sich angespannt das schulterlange Haar zurück. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde. Aber ich hoffe wirklich, dass es dir gelingt,
ihn
wieder anzurufen. Ohne
ihn
haben wir nicht einmal den Hauch einer Chance.«
Lukas dachte schon die ganze Zeit über an Mephistopheles. Zwar war der Teufel in Pudelgestalt seit dem Zwischenfall am Vormittag verschwunden, doch Lukas hoffte gerade deswegen, dass ihm die Befreiung Abrahams auf elegante Weise gelingen würde. »Mach dir keine Sorgen«, gab er sich zuversichtlicher, als er war. »Ich muss bloß nah genug an Abraham herankommen. Dann werde ich es ebenso wie in Heidelberg halten und Mephisto um Beistand anrufen. Und ich verspreche dir, ich sorge dafür, dass er diesmal nicht nur mich, sondern auch Abraham entrückt. John Dee wird das Nachsehen haben.«
»Und wenn etwas schiefläuft?«
»Dann habe ich dich als Back-up.« Er lächelte schmal. »Improvisiere einfach.«
Die Hexe wirkte noch immer nicht überzeugt, doch sie hatten die Sache lange genug durchgesprochen. Ihnen blieb
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