Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
»Habt Ihr Lakritze mitgebracht?«
»Sicher. Sie hatten mich ja darum gebeten.«
Abraham holte die Armillarsphäre ein, hängte sie sich wie einen Ball vor die Brust und kraxelte auf dem Netz zum Zimmereingang zurück, wo er ihm die Hand reichte. »Wenn ich bitten dürfte.«
Lukas hob den kleinen Körper an und stellte ihn vor sich auf dem Zimmerboden ab. Abraham tat ihm leid. Zweimal hatte er den Versuch gewagt, sein Bedauern über das Schicksal zu äußern, das ihm widerfahren war. Doch beide Male hatte der Zauberer ihm brüsk das Wort abgeschnitten und ihm verboten, das Thema anzusprechen. Offenbar war das seine Art, mit der Transformation fertig zu werden. Lukas hatte dem nichts entgegenzusetzen. Er reichte dem Homunkulus ein Tütchen mit Salmiakpastillen. Gierig riss der Zauberer es auf und stopfte sich eine davon in den Mund. »Seit ich in diesem Körper stecke«, sprach er fast entschuldigend, »habe ich einen richtigen Heißhunger auf diese Pastillen. Keine Ahnung, warum, aber das werde ich noch erforschen.« Er schlüpfte in winzige Schuhe, die er ebenfalls Millepertia zu verdanken hatte, und nahm eine selbstgefertigte Umhängetasche auf, in die er den Rest der Pastillen füllte. »Es könnte daran liegen, dass Salmiak blutbildend wirkt«, fuhr er geschäftig fort. »Vielleicht versucht mein neuer Körper damit den Umstand auszugleichen, dass durch ihn nicht mehr mein altes Zaubererblut fließt. Zumindest bemerke ich eine gewisse Kräftigung, wenn ich mich mit dem Zeug vollstopfe. Und das ist höchst bemerkenswert.«
»Inwiefern?«, wollte Lukas wissen.
»Ganz einfach: Mein Geist steckt nicht mehr in meinem alten Körper. Ich wundere mich, dass ich überhaupt noch über Zauberkräfte gebiete.«
»Sie meinen den Umstand, dass in jedem echten Zauberer etwas Engelsblut fließt?«
»Genau. Durch meinen neuen Körper strömt aber das Blut des Homunkulusleibs. Und doch scheint meine Seele darauf zu reagieren. Ich kann mir das nur so erklären, dass von Nettesheim bei seiner Erschaffung auf sein eigenes Blut zurückgegriffen hat.«
»Apropos Blut«, ergriff Lukas die Gelegenheit beim Schopf. »Finanziell sind wir mal wieder ziemlich ausgeblutet. Wollten Sie unsere Reisekasse nicht schon vor Tagen auffüllen?«
»Ach, das. Natürlich. Na, dann folgt mir.« Abraham stiefelte an Lukas vorbei in den Kaminraum.
»Und? Irgendwelche neuen Erkenntnisse?« Millepertia trat mit einem dampfenden Teekessel zum Tisch und schenkte etwas heißes Wasser in eine winzige Tasse.
»Leider nein.« Abraham blieb vor einem ausgetretenen Läufer stehen und bedeutete Lukas, diesen fortzuziehen. Darunter befand sich eine Klappe mit metallenem Griff. »Ihr braucht Geld, also bitte bedient Euch. Es ist in der Tat an der Zeit, dass auch wir uns an den Kosten unserer Unternehmung beteiligen.«
Lukas lächelte zufrieden, öffnete die Klappe und entdecke darunter einen Hohlraum, in dem eine kleinen Truhe mit Silberbeschlägen stand. Lukas hob sie an und ächzte, so schwer war sie. »Donnerwetter, dem Gewicht nach zu urteilen, sind unsere Geldprobleme behoben.« Rasch stellte er sie auf dem Boden ab.
»Na, das will ich wohl meinen.« Abraham berührte die Armillarsphäre, und im selben Moment schnappten die Schlösser auf.
Lukas öffnete den Deckel und starrte mit offenem Mund den blinkenden Haufen Silbermünzen an. Konsterniert nahm er eine von ihnen zur Hand und drehte sie. Auf ihrer Rückseite trug sie die Prägung einer Art Burg. »Was zum Teufel ist das?«
»Das sind Friesacher Pfennige!«, erklärte der Homunkulus begeistert. »Das dürften exakt fünfhundert von ihnen sein. Ich verwahre sie hier oben im Gebirge seit etwa 1400 . Sozusagen als kleine Reserve für Notfälle.« Er zwinkerte. »Diese Münzen waren die Bezahlung für eine erste Auftragsarbeit – einen Golem! Unsere Geldprobleme dürften sich damit wohl in der Tat erledigt haben.«
»Gut, das ist Silber, aber …« Lukas ließ die Münze zurück in die Truhe fallen. »Damit können wir heutzutage nicht mehr zahlen.«
»Was? Wieso das denn nicht?« Der kleine Zauberer wirkte verschnupft. »Die Ghule akzeptieren diese Münzen doch auch.«
Millepertia im Hintergrund unterdrückte ein leises Lachen.
»Ich will ja nicht sagen, dass sie nichts wert sind«, versuchte Lukas den Zauberer zu beschwichtigen. »Im Gegenteil. Aber auf gar keinen Fall kann ich damit unten im Dorf Lebensmittel einkaufen. Und ich wüsste so schnell auch niemanden, bei dem man diese Münzen
Weitere Kostenlose Bücher