Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
schützen.«
»Begreife ich nicht«, sagte sie skeptisch. »Läge es nicht viel mehr im himmlischen Interesse, das Mönchsgrab mit der Engelsmelodie einfach verfallen zu lassen?«
»Nicht, wenn es kurz davor stand, entdeckt zu werden.« Mephisto zwinkerte. »Und Zerstörung, Schätzchen, ist eher meine Domäne. Wenigstens das haben die Einfaltspinsel da oben begriffen, nachdem aber auch wirklich jeder Versuch, sich meiner geschätzten Mittel zu bedienen, stets nach hinten losging.« Mephisto lachte. »Ich wette, die ärgern sich heute noch schwarz über Sodom und Gomorrha. Da vernichten sie zwei komplette Städte, deren Bewohner einfach nur ein bisschen Spaß haben wollten, und das Erste, was dieser Lot tut, ist, seine eigenen Töchter zu besteigen.« Mephisto bekam sich vor Lachen kaum noch ein. »Lest euch das Alte Testament ruhig durch: eine Chronologie des Scheiterns. Seit ich da oben weg bin, regiert die Ideenlosigkeit. Nur die Marketing-Abteilung macht noch ihren Job.«
»Und das heißt jetzt was?«, wollte Ben schlecht gelaunt wissen.
»Das heißt, dass wir genau am richtigen Ort sind, um uns die Melodien der Engelschoräle anzueignen. Wir müssen sie bloß noch finden.«
Das Geheimnis der Sonnenstadt
D as Karlsruher Residenzschloss erhob sich vor dem blauen Septemberhimmel in all seiner barocken Pracht. Das Kuppeldach des Schlossturms mit den breiten, nach hinten abgeknickten Schlossflügeln im Westen und Osten erinnerte Lukas an das Haupt eines überdimensionierten Schwans, der kurz davor stand, sich zu den wenigen Wolken über ihnen aufzuschwingen. Der Anblick beeindruckte ihn, und so, wie sich ihre Suche entwickelte, würde er wohl auch schon bald die Gelegenheit haben, das Schloss von innen kennenzulernen.
Seit einer halben Stunde saßen er, Millepertia und Abraham in einem der halboffenen Waggons der Karlsruher Schlossgartenbahn und ruckelten von einer Diesellok gezogen durch den riesigen Schlossgarten. Abermals trug Lukas die Sportkappe, nur dass er zusätzlich noch auf eine Sonnenbrille setzte, um seine Augen zu verbergen. Doch niemand beachtete ihn. Die Touristen vor und hinter ihnen waren vielmehr damit beschäftigt, mit ihren Kameras die herrlichen Motive einzufangen: hübsch arrangierte Blumenbeete, alte Bäume und sogar einen blau glitzernden See. Der Park war nach Art eines englischen Landschaftsgartens gestaltet; die Fahrt mit der Parkbahn erschien ihnen daher als die geeignetste Methode, sich einen raschen Überblick über die Grünanlage zu verschaffen. Das schmale Schienennetz erstreckte sich in Form einer liegenden Acht über den gesamten Garten, und sie fuhren bereits das zweite Mal an einem Teehaus nahe der Schlossgärtnerei vorbei, vor dem kleine Besuchergruppen flanierten.
»Tut mir leid«, seufzte Millepertia. »Ich kann nirgendwo Hartheu ausmachen. Vielleicht haben die anderen mehr Erfolg?«
Lukas blickte trotz der Sonnenbrille zurück, über Wiesen und Bäume hinweg und in Richtung des Botanischen Gartens, wo Mephisto mit Ben und Adam unterwegs war. Die übrigen Bandmitglieder hatten sich aufgeteilt, um in Zweiergruppen das verzweigte Wegenetz des Parks sowie den im Osten liegenden Fasanengarten abzusuchen.
Lukas klappte den Karlsruher Touristenführer auf, den er sich am späten Vormittag in der Innenstadt besorgt hatte, da das Internet einfach nicht genug Informationen hergab. »Vielleicht ist die Idee ja falsch, nach Johanniskraut Ausschau zu halten«, meinte er. »Vielleicht müssen wir nach anderen Hinweisen suchen.« Er deutete auf die Stadtkarte im Buch. »Wenn man sich den Grundriss Karlsruhes mit seinen sternförmigen Straßen genauer ansieht, liegt im Zentrum der Turm des Schlosses.« Abraham steckte seinen kleinen Kopf aus Millepertias Tasche und gebot ihm leise, die Karte des Stadtführers so zu halten, dass auch er einen Blick auf sie werfen konnte.
»Das ist mir bekannt«, sagte er dann. »Nur wurde das komplette Schloss bereits mehrfach aus-, um- und wiederaufgebaut. Zuletzt nach den Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges. Hätten die Arbeiter dort etwas Besonderes entdeckt, wüssten wir davon.«
»Aber wonach genau sollen wir dann Ausschau halten?« Lukas sah wieder auf, denn die Schlossbahn ruckelte an einem Kinderspielplatz vorbei. Die Knirpse johlten beim Anblick von Lok und Waggons.
»Vielleicht solltest du bei dem Turm noch einmal geomantische Untersuchungen vornehmen?«, schlug Millepertia vor. »Vielleicht wurde dort etwas mittels der
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