Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
gesehen.«
»Ein Mönch?«
»Nein. Der war definitiv kein Mönch.« Erschöpft richtete sie sich auf. »Er lag auf einer Waldlichtung, ähnlich wie der, auf der wir uns befinden. Nur lag er inmitten einer Decke aus gelb-grünen Pflanzen und … schlief.«
»Gelb-grüne Pflanzen?«, wiederholte Lukas nachdenklich.
Millepertia sah die Bandmitglieder der Reihe nach an. »Du weißt schon: Hartheu. Johanniskraut.«
Abraham atmete vernehmlich ein, und Lukas stieß einen leisen Pfiff aus.
Mephisto hingegen schnaubte verächtlich.
»Verrät mir mal jemand, was an dem Unkraut so besonders sein soll?«, murrte Ben.
Lukas half Millepertia nun endgültig auf die Beine. »Bist du so nett und zeigst den Jungs, was du kannst?«, bat er sie.
Millepertia zögerte, nestelte dann aber an ihrer rechten Hand und ließ zwischen ihren Fingern einen Hartheutrieb emporwachsen, an dessen Ende sich mehrere gelbe, sternförmige Blüten entfalteten.
Einer der Gitarristen stieß einen überraschten Pfiff aus. Ben hingegen glotzte Pflanze und Handfläche ungläubig an, holte tief Luft, warf einen Seitenblick auf Abraham – und schwieg.
»Und das war alles?«, grollte Mephisto angespannt.
»Na ja, der Mann auf der Lichtung war nicht gerade modern gekleidet. Eher … barock.« Millepertia rang nach Worten. »Erlesene Stoffe. Teurer Mantel. Teure Schuhe mit Schnallen. So ein bisschen wie Jagdkleidung.«
»Jagdkleidung?«, hakte Adam interessiert nach.
»Ja. Leider konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, denn direkt hinter ihm ging die Sonne auf. Sie war so unsagbar grell, und ihre Strahlen stachen mir in die Augen, dass es fast weh tat.«
Mephisto starrte Millepertia geradewegs an, und seiner Kehle entstieg ein leises Knurren. Bevor er etwas sagen konnte, ergriff Abraham das Wort: »Du bist dir mit der Sonne ganz sicher?« Er berührte Millepertias Hand. »Hast du noch mehr sehen können?«
Sie legte den Kopf schief und dachte nach. »Na ja … Der Mann lag einfach nur da und schlief. Obwohl … ich glaube, zwischen diesem Hartheugestrüpp waren auch die Reste alten Mauerwerks zu sehen. Da bin ich mir aber nicht sicher. Wenn, dann waren das
ziemlich
alte Mauern.«
»Überaus faszinierend«, murmelte der Zauberer nachdenklich.
»Könntest du uns an deinen Überlegungen bitte teilhaben lassen«, murrte der Teufel.
Abraham nickte. »Die Szene erinnert mich an die Gründungslegende Karlsruhes. Diese Stadt ist unter Geomanten nämlich nicht gerade unbekannt. Betrachtet man Karlsruhe von oben, erkennt man, dass sie wie eine Sonne aufgebaut ist – mit dem Karlsruher Schloss in der Mitte und den Straßenzügen als Strahlen. Nicht ohne Grund wird sie auch Sonnen- oder Fächerstadt genannt.« Er war nun vollends in seinem Element. »Die Stadt wurde damals in alte Landschaftsstrukturen eingebettet. Und damit meine ich Ley- und Drachenlinien von großer Kraft. Überhaupt existiert hier ein feingewobenes Netz geomantischer Verbindungen zu Bergspitzen, Kultplätzen und alten Quellen. Es gibt sogar Ley-Linien, die bis zu anderen Orten der Kraft reichen, etwa die heutigen Dome von Speyer, Worms und Mainz. Warum das so ist, habe ich nie herausfinden können. Allerdings«, er hob belehrend einen winzigen Finger, »ist bekannt, dass diese erstaunlichen Bauaktivitäten auf den Gründer der Stadt zurückgehen.«
»Und wer war das?«, fragte Lukas.
»Markgraf Karl Wilhelm von Baden-Durlach. Karlsruhe wurde von ihm gegründet. Und zwar mit der Grundsteinlegung des berühmten Schlosses im Jahre 1715 . Und bis heute hält sich die Legende, nach der der Markgraf die Idee zur Gründung der Stadt im
Schlaf
hatte. Während eines Nickerchens, das er während eines Jagdausritts hier im Hardtwald hielt. Daher auch der Name: Karls
ruhe.
«
Mephisto verengte die Augen. »Ich begreife, worauf du hinauswillst. Karlsruhe liegt im Süden des einstigen Frankenreichs. Also genau dort, wo der Legende nach der Mönch Severin bestattet wurde.«
Abraham nickte. »Was, wenn sich der Markgraf damals ganz zufällig in der Nähe des alten Grabes zur Ruhe gelegt hatte?«
»Das war kein Zufall.« Mephistopheles schürzte spöttisch die Lefzen. »Vielmehr klingt das nach dem himmlischen Standardverfahren. Visionen. Entrückung. Das volle Programm samt strahlender Erleuchtung. Und der gute Karl Willi scheint das alles ziemlich ernst genommen zu haben.«
»Und warum das Ganze?«, wollte Millepertia wissen.
»Na, um Severins verfallene Grabstätte zu
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