Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
hieß, dass er wacher war, als er es sich gewünscht hätte. Hin und wieder trafen sich Lukas’ und Millepertias Blicke. Lukas gewann den Eindruck, dass auch ihr etwas auf der Zunge lag, doch die Hexe schwieg seit nunmehr gut einer Viertelstunde und starrte zunehmend aufmerksam aus dem Fenster. Fast so, als würde sie einige Landmarken der Region erkennen.
»Und? Hast du eine Ahnung, wohin wir fahren?«
»Warte.« Millepertia presste ihr Gesicht an die Scheibe, dann weiteten sich ihre Augen. »Ich glaube, das da ist unser Ziel.« Sie deutete in Richtung eines mondbeschienenen rundlichen Bergrückens schräg vor ihnen.
Einen kurzen Augenblick lang glaubte Lukas, dass sich im silbernen Schein des Mondes ein Schatten abzeichnete, der von links nach rechts durch die Nacht huschte. Irritiert kniff er die Augen zusammen, doch als er sie wieder öffnete, war der Schatten verschwunden.
»Unser Ziel ist der Kandel«, flüsterte Millepertia aufgeregt. »Der Berg ist die höchste Erhebung im mittleren Schwarzwald – und auf ihm befindet sich ein ganz besonderer Ort.«
»Sehr gut, meine Teuerste«, tönte im Gang die Stimme Mephistopheles’. Der schwarze Pudel sprang auf eine Sitzbank und kläffte nach hinten. »Jungs, genug geübt. Es wird Zeit für eure Einweisung.«
Abraham richtete sich hellwach auf.
Die sechs Devils verließen ihre Plätze und kamen zu ihnen. »Hat die Geheimniskrämerei also endlich ein Ende?«, fragte Ben.
»Hat sie.« Mephisto lächelte selbstgefällig. »Mille, könntest du die Gentlemen bitte aufklären?«
»Mephisto lässt uns zum Kandel bringen. Ich vermute, dass er dort ein Hexentreffen arrangiert hat«, erklärte sie ihnen.
»Bingo!« Der schwarze Pudel heulte begeistert. »Schön zu wissen, dass du dich an den Spaß erinnerst, den wir dort früher hatten.«
»Ich hatte damals keinen Spaß«, schnappte sie, was den Teufel allerdings wenig zu beeindrucken schien. »Ich gebe zu, ein bisschen langweilig warst du ja schon immer. Vermutlich ist das der Grund, warum du und Abraham es so lange miteinander ausgehalten haben.«
»Nein, das lag daran, dass wir auf deine Gesellschaft verzichten konnten«, stellte Abraham fest und wandte sich seinerseits an die Devils. »Der Kandel genießt hier im Süden den zweifelhaften Ruf als Blocksberg des Schwarzwaldes.«
»Sie sprechen von dem berühmten Hexentanzplatz im Harz?« Der Flötenspieler sah sich zu seinen Bandkollegen um. »Da war ich in der Neunten mal auf Klassenfahrt. Die kleine hölzerne Brockenhexe, die ich damals mitgebracht habe, hängt heute noch bei mir auf dem Klo.«
»Ist ja rührend«, knurrte Mephisto.
Millepertia fuhr fort: »Hier im Süden trafen sich die Hexen zur Walpurgisnacht beim Kandel. Doch 1981 kam es bei dem dortigen Hexentreffen angeblich zu einem Unglück. Die Teufelskanzel, also der komplette obere Teil des Kandelfelsens, stürzte in dieser Nacht in die Tiefe. Angeblich hat man inmitten der Trümmer sogar einen Besen gefunden.«
»Das war kein Unglück«, knurrte Mephisto. »Das war die Folge eines Angriffs. Bislang dachte ich, dass die Inquisition dafür verantwortlich war. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Gut möglich, dass unsere Gegner schon damals Vorbereitungen gegen meine Getreuen trafen.«
»Die Inquisition? Gibt es die denn noch immer?«, fragte Lukas.
»Allerdings. Diese frömmelnden Frauenhasser haben bloß die Methoden gewechselt. Allerdings sind die im Augenblick nicht unser Problem.«
»Wartet.« Adam beugte sich interessiert vor. »Ihr sprecht allen Ernstes von
echten
Hexen?«
»Aber sicher.« Gut gelaunt deutete Mephisto mit einer Pfote auf Millepertia. »Eine von ihnen sitzt direkt vor euch. Oder dachtet ihr, ich hätte Mille bloß als Quotengroupie mitgenommen?«
»Quoten… was?«, zischte die Hexe wütend, und die Bandmitglieder grinsten.
»Wie viele kommen denn?«, wollte einer der Gitarristen wissen.
»Jungs, ihr werdet zufrieden sein.« Mephisto zwinkerte anzüglich. »Und eines kann ich euch ebenfalls versichern: Die Mädels freuen sich schon auf euch. Was Männer betrifft, sind die regelrecht ausgehungert.«
Die Laune der Devils stieg zunehmend.
Millepertia hingegen kochte. »Mal abgesehen davon, dass ich den Schwestern all die Jahre über nicht ohne Grund aus dem Weg gegangen bin: Was wollen wir da oben auf dem Berg überhaupt?«
»Die Hexen bringen uns Arnold von Wied«, erklärte Mephisto. »Bis gestern lagen seine sterblichen Überreste in einem
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