Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
die Gewissheit, dass es sich bei meinen Träumen um himmlische Visionen handelt, alles noch viel schlimmer.«
»Das begreife ich nicht.«
»Es ist egal, wozu mich die Engel auserwählt oder nicht auserwählt haben, Lukas. Wenn sich mir die Himmelskräfte tatsächlich auf diese Weise offenbaren, kann ich an meiner Zukunft erst recht nichts ändern. Dann sind meine Träume keine Trugbilder oder vage Vorahnungen, sondern genau das, wofür ich sie immer gehalten habe: Sie verkünden mein Schicksal.«
»Aber was genau
verkünden
sie dir denn?«, fragte Lukas verzweifelt.
»Ich sehe mich in meinen Träumen sterben«, flüsterte Millepertia. »Ich sehe, wie die Höllenboten meine unsterbliche Seele ergreifen und in den Infernalischen Abgrund zerren. Und jener eine, der mir stets dabei zusieht, ist immer derselbe. Das bist du!«
»Ich weiß, aber … Hör zu, Mille: Das kann einfach nicht sein.« Lukas sah sie beschwörend an. »Ehrlich, ich würde alles in meiner Macht Stehende tun, um dich vor diesem Schicksal zu bewahren. Vor mir musst du keine Angst haben.«
»Das weiß ich doch längst.« Millepertia lächelte unglücklich. »Glaub mir, ich hätte dich lieber bekämpft, als …« In ihren grünen Augen lag plötzlich ein Ausdruck, in dem mehr lag als bloße Angst. Darin spiegelte sich Verwirrung. Staunen. Zärtlichkeit? Lukas merkte, dass er ihre Hände an sich gezogen hatte. Doch der winzige Moment, in dem sich ihre Seelen zu berühren schienen, verging.
Hastig löste sich Millepertia von ihm und wischte sich über die Augen. »Alles, was zählt, ist, dass du aufgetaucht bist, so wie es mir meine Träume angekündigt haben. Und das bedeutet, dass mein Ende nah ist. Eines Tages musste es eben so kommen. Niemand kann ewig vor seinem Schicksal davonlaufen.«
In diesem Moment hallte drüben im Grab des Mönches erneut die Singstimme Adams auf, dem sich das getragene Spiel der Teufelsgeige anschloss. Lukas, der Millepertia noch immer ansah, wandte seine Aufmerksamkeit dem benachbarten Gewölbe eher unwillig zu, und doch rieselten ihm bei den Klängen Schauer der Ergriffenheit über den Leib. Ebenso wie Millepertia kehrte er zur Geheimtür zurück und erlebte dort mit, wie die drei Musiker die rekonstruierte grigorianische Melodie vortrugen. Adam sang, Ben brachte seine Geige zum Klingen, und der Drummer gab klopfend den Rhythmus vor. Lukas war zu nichts anderem in der Lage, als mit offenem Mund dazustehen und zuzuhören – bis der verdorrte Körper der Taube auf der Urne zuckte. Vor ihren Augen sprang der mumifizierte Vogel auf die Beine, hob die löchrigen Flügel und begann unter den Klängen der Himmelsmusik einen seltsamen Tanz aufzuführen.
Ben, der das Schauspiel als Erster von den dreien bemerkte, riss die Augen auf und unterbrach sein Violinenspiel. Auch Adam hielt mitten im Gesang inne.
Ansatzlos fiel die Taube wieder auf die Seite und rührte sich nicht mehr.
»Ihr habt es tatsächlich geschafft«, flüsterte Millepertia. »Eure Musik erweckt Tote zu neuem Leben.«
Hexensabbat
V or zwei Stunden hatten sie Karlsruhe verlassen, und noch immer donnerte der Tourbus der Devils die Landstraße entlang. Das Scheinwerferlicht des Busses erfasste gelegentlich entgegenkommende Fahrzeuge, doch davon abgesehen war die bergige, bewaldete Gegend, die sie durchfuhren, verlassen. Lukas warf einen Blick auf die Armbanduhr. Die Zeiger standen auf kurz nach 23 Uhr, und er fragte sich, welches Ziel Mephisto, der neben dem Fahrer hockte, eigentlich ansteuern ließ. Sie hatten die Autobahn bereits viele Kilometer vor Freiburg verlassen. Auf der Straßenbeschilderung standen Namen, die er noch nie gehört hatte. Elztal oder Waldkirch zum Beispiel. Er wusste lediglich, dass sie sich irgendwo im Schwarzwald befanden.
Auch Ben und die übrigen Devils wussten nicht, wohin die Reise ging, aber im Gegensatz zu ihm war es ihnen auch ganz offensichtlich egal. Sie hatten in Karlsruhe die Pyramide wieder in ihren alten Zustand versetzt, das Schlagzeug ihres Drummers verladen und hockten jetzt ausgestattet mit reichlich Bier hinten im Bus und übten Akkorde. Millepertia und Abraham hingegen saßen Lukas gegenüber. Ihre Gespräche waren schon lange zum Erliegen gekommen. Zu gern hätte er das Gespräch mit Millepertia an der Stelle fortgeführt, an der sie der musikalische Durchbruch der Devils unterbrochen hatte. Doch der Zauberer döste zwar vor sich hin, schlug jedoch zu Lukas’ Leidwesen immer wieder die Augen auf. Und das
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