Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
schlagartig zum Erliegen. Die Kontrahenten wankten und gingen in die Knie. Die Hexen jedoch, die um die Gefahr des Alraunenschreis wussten, machten, dass sie auf ihren Besen davonkamen.
Sofort stürmte Lukas zu Millepertia, die noch immer halb in ihre Johanniskrautgestalt verwandelt vor dem Baumstamm lag und sich die Ohren verzweifelt mit Kaugummi verschloss. Zu seiner Erleichterung kam sie wieder auf die Beine, und gemeinsam hetzten sie am Lichtungsrand entlang zu den Hexenbesen hinüber. Zwei der Wächter waren längst geflohen; nur eine der Kreaturen versuchte Widerstand zu leisten. Doch der ohrenbetäubende Schrei blieb auch bei ihm nicht ohne Wirkung. Lukas hielt ihm das Alraunenmännchen am ausgestreckten Arm entgegen. Dunkles Dämonenblut quoll der Kreatur aus den Ohren. Kreischend warf sie sich herum und rannte frontal gegen einen Baum, vor dem sie reglos liegen blieb.
Plötzlich erschütterte ein Schlag das Wurzelwesen, und es verstummte ebenso jäh, wie es zu schreien begonnen hatte. Aus dem Körper des Alraunenmännchens ragte der Schaft eines Messers. Verwirrt sah es Lukas an und erschlaffte.
»Bringt sie mir! Verdammt, bringt sie mir!« Benommen stelzte Alberich zwischen den Felsen auf sie zu, stolperte und schlug der Länge nach hin. Nur zwei oder drei der Angreifer waren noch kampffähig. Darunter eine düstere Männergestalt, die auf einen Felsen kletterte und sich dort in einen fast menschengroßen Rabenvogel mit nachtschwarzem Gefieder verwandelte.
»Schnell! Das ist ein Nachtkrapp.«
Lukas hörte Millepertias Stimme nur gedämpft. Noch während er sich das Kaugummi aus den Ohren pulte, warf sie ihm einen der Besen zu. Ungläubig starrte er das Ding an. Das war ein klassischer Reisigbesen, wie sie heutzutage kaum noch in Gebrauch waren. »Und jetzt?«
»Setz dich drauf! Besinn dich, dass in deinen Adern das Blut eines Zauberers fließt!«, rief sie – und dann hob sie einfach ab.
Fassungslos sah er ihr nach und dann zu Alberich, der in diesem Moment wieder auf die Beine kam. Kreischend vor Zorn wuchtete der Schwarzalb einen schweren Felsen empor. Einer Eingebung folgend setzte sich Lukas rittlings auf den Besen. Er packte den Stiel so, dass das Blut einer seiner Schürfwunden das Holz berührte. Jäh schoss der Besen mit ihm in die Höhe. Keinen Augenblick zu spät, denn unmittelbar hinter ihm schlug Alberichs Wurfgeschoss eine tiefe Schneise ins Unterholz. Im nächsten Moment peitschten Lukas Tannenzweige ins Gesicht. Er begann zu trudeln und krachte weiter hinten im Wald in die Schonung. »Konzentriere dich!«, brüllte Millepertia auf Höhe der Tannenspitzen. Ihre Pflanzentriebe hatten sich längst wieder zurückgebildet, und auf ihrem Besen sah sie wild und verwegen aus. Ganz im Gegensatz zu ihm selbst.
»Bei Harry Potter sah das irgendwie einfacher aus«, fluchte er, rappelte sich stöhnend wieder auf, packte den Besen aufs Neue und sammelte sich.
Abermals schoss er in die Höhe, doch diesmal versuchte er den Besen mehr gedanklich als durch reine Verlagerung seines Gewichtes zu lenken. Es klappte.
»Ich fliege! Mein Gott, ich fliege!« Hysterisch lachend rauschte er über die Baumwipfel hinweg, als er hinter sich das Rabenwesen erblickte. Mit zornigem Flügelschlag setzte ihnen die unheimliche Kreatur nach, und ihr langgezogener Raubvogelschrei schallte weit über die Täler des Breisgaus.
»Wohin?«, rief Lukas.
»Nach Norden!«
Millepertia und er stürzten sich auf ihren Hexenbesen in ein enges Tal und gewannen rasch an Geschwindigkeit. Unter ihnen jagte der Schwarzwald wie ein dunkles Meer dahin, und die Nachtluft fing sich knatternd in ihren Kleidern. Allerdings war sie bei weitem nicht so kühl, wie Lukas erwartet hatte. Und der Nachtkrapp holte auf. »Wir müssen das Mistvieh irgendwie loswerden!«, schrie er Millepertia zu.
»Ich kenne keine Zauber, die uns hier oben nützlich wären«, rief sie. »Aber vielleicht kommen wir ihm anders bei. Folge mir!« Sie gewann wieder an Höhe und raste über ein Forsthaus hinweg, das gute dreißig Meter unter ihnen lag.
Lukas, der nicht wusste, was sie vorhatte, folgte ihr und erhöhte seinerseits das Tempo. Dabei pulsierte die Wunde an seiner Hand, und er spürte zu seinem Erschrecken, dass das Holz des Besens sein Blut aufsaugte, wie ein Schwamm das Wasser. Schräg unter ihnen kam die Straße hinauf zum Kandel in Sicht, auf der Lukas zu seiner Erleichterung den Tourbus der
Devils
zu erkennen glaubte. Rasch verschwand das Fahrzeug
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