Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
hinter ihnen in der Nacht. Kurz darauf öffnete sich das enge Tal und machte Platz für eine größere Ortschaft, deren beleuchtete Häuser und Straßen aus der Höhe wie Spielzeugbauten aussahen.
Millepertia beschrieb eine enge Linkskurve, und endlich sah er, worauf sie zuhielt: die Strommasten am Rande einer Bundesstraße! Die Hochspannungsleitung durchzog die bergige Landschaft wie eine Wellenbahn, die nördlich und südlich von ihnen scheinbar ins Unendliche auslief.
Der Nachtkrapp war noch immer hinter ihnen und hielt mit kräftigen Flügelschlägen auf sie zu.
Millepertia und er setzten in ihrer Not zu einem Sturzflug an und brausten dicht über einen von Häusern gesäumten Straßenzug entlang. Ein betrunkener Fahrradfahrer kam ihnen entgegen, schrie panisch auf und kippte bei ihrem Anblick von seinem Drahtesel. Dicht über ihm schossen sie an ihm vorbei, doch der gewaltige Rabe holte abermals auf.
»Wir trennen uns!«, rief Millepertia. »Du nach rechts, ich nach links!«
Eine von Laternen beleuchtete Kreuzung kam auf sie zu, und Lukas scherte nach rechts aus.
Der Nachtkrapp schlug ebenfalls einen Bogen und flog ihm gezielt hinterher.
Lukas sauste dicht über einen Schornstein hinweg und entdeckte wieder die Straße mit den Strommasten. Geradewegs hielt er auf sie zu und hörte hinter sich den Raubvogelschrei seines Verfolgers. Dann, endlich, hatte er die Masten erreicht. Panisch zog er waghalsige Kurven um die summenden Drähte, doch der Riesenvogel schien um die Gefahr des Starkstroms zu wissen, denn er tat ihm nicht den Gefallen, in die Drähte zu krachen. Stattdessen kam er ihm so nahe, dass er mit dem Schnabel nach ihm hacken konnte.
Lukas ließ sich schreiend in Richtung Straße fallen, wich im letzten Moment einem Lkw aus und sorgte im Tiefflug dafür, dass die summenden Elektrodrähte stets zwischen ihm und seinem Verfolger blieben. Der Nachtkrapp krächzte wütend, als über ihm etwas vom Nachthimmel herabschoss. Millepertia! Im Sturzflug stieß sie auf den gewaltigen Raben nieder und rammte ihn. Der Nachtkrapp flatterte noch, dann berührte sein Federkleid die Drähte. Weit über tausend Volt jagten durch den Rabenkörper, und sein Todesschrei mischte sich mit einem lauten Brizzeln. Funken sprühten, Drähte rissen, dann stand das dämonische Geschöpf in Flammen.
Lukas wich erleichtert einem Zaun aus, gewann wieder an Höhe und blickte zurück zu ihrem hilflos brennenden Gegner. »Du bist eine echte Teufelsbraut!«, rief er Millepertia zu.
»Wusstest du doch.« Millepertia lachte, als sie etwas hart am Nacken traf. Vor seinen Augen stürzte sie mit dem Besen ab.
»Mille!« Lukas wollte ihr schon hinterherfliegen, als schräg über ihm Alberich seinen Tarnmantel zurückschlug. Auch er ritt einen der Hexenbesen.
»Hast du geglaubt, so leicht könntest du mir entkommen, junger Faust?« Er lachte schallend, griff unter den Umhang und schleuderte mit seinen magisch verstärkten Kräften einen weiteren Stein nach ihm.
Lukas kippte instinktiv zur Seite, dennoch erwischte ihn das Geschoss schmerzhaft am Arm. Allein dem Eisenkraut verdankte er es, sich noch am Besenstiel festklammern zu können. Teufel, was sollte er tun?
Panisch flog er zurück in Richtung Ortschaft, doch Alberich ließ sich nicht abschütteln. Der Albenkönig war zwar ein ebenso schlechter Flieger wie Lukas, aber er besaß weitere Steine, die er nach ihm warf.
Lukas raste über Häuser, Straßen und dann dicht über einen Kirchturm hinweg, dessen Fensterläden unter einem der Wurfgeschosse barsten. Im Turm ertönte ein dröhnender Gongschlag. Egal. Hauptsache, er lockte Alberich von Millepertia weg.
Inzwischen hatte er die Ortschaft fast überflogen und jagte auf einen waldigen Hang zu, der von einer beleuchteten Burgruine überragt wurde. Lukas kam eine verzweifelte Idee. Er hob den Besen an, schoss steil nach oben und an der Ruine vorbei. Noch immer war der Nachthimmel von einem Horizont zum anderen mit einer dichten Wolkendecke bedeckt. Abermals prickelte seine Wunde, doch es war ihm egal, wie viel seines kostbaren Blutes der Besen für dieses Manöver verlangte. Vielleicht gelang es ihm, sich inmitten der Wolken zu verstecken?
Erste Nebelfetzen zogen an ihm vorbei, und kurz glaubte er, dass etwas an seinem Kopf vorbeirauschte. Dann, endlich, umschloss ihn dichter Nebel. Doch Alberich gab nicht auf. Der verräterische Albenkönig raste auf seinem Hexenbesen weiter hinter ihm her.
Lukas konnte seine Verwünschungen
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