Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
bestünde ihr Leib zur Gänze aus Kornähren. Irrte er sich, oder trug das Wesen tatsächlich Pfeil und Bogen?
»Der Bilwis gehört mir!« Eine der Hexen hinter ihm riss Lukas zur Seite und wurde an seiner statt vom Schuss des Wesens getroffen. Stocksteif und mit aufgerissenen Augen kippte die Hexe hintenüber.
Schon war eine andere heran. Zornig ballte sie die Faust. Am Himmel rumpelte es, und faustgroße Hagelkörner prasselten auf den Angreifer nieder und hinderten ihn an einem zweiten Schuss. Der Wetterschlag zerfetzte das Wesen.
Die Hexe lachte gehässig. Im gleichen Augenblick sprang sie ein Schatten von der Seite an, packte sie und zerfetzte ihr mit einem raschen Biss die Kehle.
Knurrend ließ der Werwolf die erschlaffte Hexe fallen und richtete seinen gelben Augen auf Lukas. Silber, dachte Lukas, dem die Achillesferse der Werwölfe aus Buch und Film nur zu vertraut war. Ein Königreich für Silber. Stattdessen schleuderte er dem Ungeheuer eine der Irrwurzeln entgegen und warf sich vom Felsen. Ganz auf den Schutz des Eisenkrautes vertrauend, schlug er abermals zwischen den Gesteinsbrocken auf und stöhnte. Der Werwolf über ihm schlug, biss und trat wie trunken um sich, und unvermittelt prasselten die Knochen von Wieds auf ihn nieder.
In diesem Moment jagte eine der Hexen auf ihrem Besen über sie hinweg, und eine grelle Stichflamme züngelte dem Werwolf aus dem Nacken. Das Ungeheuer brüllte vor Schmerzen auf.
Doch die Jagd auf Lukas hatte erst begonnen. Kaum hatte er sich wieder erhoben, als die nächsten Angreifer auf ihn zustürmten. Von vorn nahte die brennende Spukgestalt, von hinten eine grässliche Kreatur mit Ziegenkopf und Pferdehufen. Und auch der verletzte Werwolf kam wieder zur Besinnung. Brüllend warf er sich auf ihn, und so schlug Lukas mit dem erstbesten Gegenstand zu, den er in die Hände bekam: von Wieds Oberschenkelknochen. Das Gebein traf den Werwolf mit voller Wucht am Schädel. Zu Lukas’ Erstaunen heulte der Werwolf schmerzerfüllt auf. Waren die Knochen
heilig?
Doch Lukas kam nicht dazu, sich weitere Gedanken darüber zu machen, denn der Lykantroph fegte ihm mit dem ersten Prankenhieb den Knochen aus der Hand, mit dem zweiten packte er ihn an der Kehle. Doch plötzlich ließ er ihn wieder los und schlug stattdessen jaulend auf sein Fell ein. Überall auf seinem Körper breitete sich Hartheu aus, das ihn umwickelte und wie einen Kokon umhüllte. Dann kippte er um.
»Mille!«
Die Hexe stand in ihrer Hartheugestalt plötzlich neben ihm und deutete auf die anderen beiden Angreifer. »Ich den Feuerputz, du den Habergeiß!«
»Den
was?
«
Millepertia ignorierte ihn und schleuderte der feurigen Spukgestalt etwas von ihrem Blut entgegen, das jedoch zischend verbrannte. Dann prallten sie aufeinander.
Lukas hingegen bekam es mit der Ziegenkreatur zu tun. Meckernd senkte das Monster seine Hörner und stürmte auf ihn zu. Ein beherzter Sprung zur Seite rettete ihn, das stinkende Ungetüm donnerte mit den Hörnern gegen den Fels und wirbelte schnaubend wieder zu ihm herum. In seiner Verzweiflung griff sich Lukas zwei weitere Bischofsknochen und warf sie nach dem Ungetüm.
Fauchend wich der Habergeiß zurück.
Da kam Lukas eine Idee. Er hetzte zu der zerfetzten Korngestalt, die noch immer inmitten Dutzender Hagelkörner lag, und sammelte ihren Bogen auf. Drei weitere Bilwispfeile steckten noch in dem Köcher. Zitternd legte er den ersten Pfeil auf und schoss ihn auf den Habergeiß ab. Das Geschoss ging daneben, doch zwang es das Ziegenwesen, in Deckung zu gehen, bevor es wieder auf ihn zustürmte. Lukas schoss den zweiten Pfeil ab. Diesmal traf er. Der Habergeiß geriet aus dem Tritt, dann kollerte er gelähmt zwischen zwei Felsen. Rasch spannte Lukas den letzten Pfeil ein und eilte Millepertia zu Hilfe, doch die erhob sich bereits von einem glühenden Aschehaufen. Der Hartheubewuchs ihres Pflanzenkörpers war versengt, und sie blutete grün aus einer Wunde im Nacken.
Alarmiert sah sie an ihm vorbei. »Aufpassen, ein Aufhocker!«
Lukas reagierte viel zu spät. Schräg über ihm rauschte ein kindsgroßer Schatten auf ihn zu, der ihn hart zu Boden schleuderte und ihn mit einem Gewicht ans Erdreich nagelte, als wöge er unzählige Zentner. »Ergib dich, junger Faust«, wisperte der Gnom mit dem gewaltigen Buckel.
Verzweifelt versuchte Lukas den Aufhocker abzuwerfen, doch die dämonische Kreatur presste ihn nur noch mehr in den Dreck. Dann jedoch kreischte sein Gegner auf und löste
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