Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Stufe vor dem Thron hinab, und er sah selbst schlafend wie ein wahrer Herrscher aus. Kampfbereit war er in einen Harnisch gehüllt, und seine Hände ruhten auf dem Griff eines Langschwertes, das quer vor ihm auf dem Schoß lag.
»Sieht jemand den Waisen?«, fragte Millepertia sanft.
Lukas verengte die Augen. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, da hinten, auf der steinernen Rückenlehne des Throns, glitzert etwas. Nur führt der Weg dorthin quer durch die Ritterschaft. Wer zu dem Waisen will, muss durch sie hindurch.« Beklommen sahen sie einander an.
»Es hilft nichts«, seufzte Abraham. »Wenn wir weiter hier herumstehen, werden wir nicht erfahren, welche Pläne Arnold von Wied und Barbarossa einst verfolgten.«
Lukas zögerte. »Und was, wenn
das hier
die Lösung ist? Ein ganzes Heer zur Verteidigung eines Adamanten?«
»Das ist keine Lösung«, wisperte Millepertia. Dann löste sie sich von ihrem Platz und schritt langsam die Treppe hinunter, bis sie in etwa drei Metern Tiefe den Höhlenboden erreichte.
Lukas schnappte sich Abraham und folgte ihr vorsichtig.
Gute zehn Meter maß die Distanz zum ersten der Ritter. Er war ein Hüne mit dichtem, struppigem Vollbart, der gegen den Sattel eines schlafenden Pferdes lehnte. Seine Lider waren geschlossen, doch in den Händen hielt er kampfbereit Axt und Schild. Sie traten bis auf zwei Meter an ihn heran und blieben stehen.
»Es ist wohl besser, wenn wir die Ritter nicht berühren«, flüsterte er. »Vielleicht sollten wir versuchen, auf dem Luftweg zum Thron zu gelangen?«
Er reichte Millepertia ihren Besen, doch in diesem Augenblick schlug der Ritter vor ihnen plötzlich die Augen auf und fixierte sie, als habe er sich bloß schlafend gestellt. Mit knarrendem Rüstzeug erhob er sich, dann zog er sein Schwert.
Erschrocken wichen die drei vor ihm zurück, während auch das übrige Heer wie ein Mann erwachte. Unter dem Klirren von Kettengliedern und dem Quietschen und Rascheln alten Leders erhoben sich vor ihnen über einhundert Ritter. Selbst die Pferde schreckten hoch und sprangen auf die Hufe. Doch weder den Kämpen noch den Tieren entfuhr auch nur ein Laut. Unzählige Augenpaare richteten sich auf sie. Stumm. Kalt. Gnadenlos. Und in einem jeden der Blicke blitzte ein fast überirdischer Wille.
»Scheiße, was jetzt?«, keuchte Lukas.
»Wer wagt es, unseren Schlaf zu stören?!«, donnerte eine Stimme durch den Dom. Barbarossa! Der alte Herrscher hatte sich erhoben, überragte nun sein Heer deutlich und reckte gebieterisch sein Schwert in die Höhe.
Lukas und Millepertia sanken unwillkürlich auf die Knie.
Mit einem raschen Schnitt befreite sich Barbarossa von dem langen Bart, der sich vor ihm wie ein roter Läufer über die Stufen legte.
Auffordernd nickte Lukas Millepertia zu, die sich möglichst demütig erhob. »Wir sind hier, weil wir Arnold von Wieds Spuren gefolgt sind. Wir sind auf der Suche nach der Träne des Teufels, die Ihr hütet«, sagte sie. Ihre Stimme klang hoch und zitterte leicht.
Ein Ruck ging durch das Heer, und Barbarossa deutete mit der blitzenden Klinge auf sie. Seine Stimme hallte abermals durch die Höhle. »Glaubt ihr, ich würde euch den Orphanus einfach
überlassen?
«
»Nein, vermutlich nicht.« Hilflos sah Millepertia sich zu Lukas und Abraham um. »Wir dachten … wir wussten nicht, dass Ihr hier seid.«
»Jetzt wisst ihr es. Und wenn dies euer Anliegen war, werdet ihr unser Geheimnis mit ins Grab nehmen. Ihr werdet diesen Ort nicht mehr lebend verlassen.«
»Ich dachte, es sei der
Himmel,
der uns hierhergeführt hat«, zischte Lukas, während er mit zunehmender Sorge sah, wie die vielen Ritter vor ihnen ihre Waffen hoben. »Mach ihm das klar!«
Millepertia wollte erneut zur Rede ansetzen, als hinter ihnen eine bekannte Stimme durch die Höhle schallte. »Sehr beeindruckend, dieser Aufmarsch. Aber doch wohl etwas verstaubt.«
Erschrocken wirbelten sie herum und entdeckten auf der steinernen Balustrade Doktor Faust. Lukas’ Ahne, der noch immer im Körper Agrippa von Nettesheims steckte, lüpfte den Lederhut und entblößte die Backenzähne in seinem von Brandlöchern entstellten Gesicht.
»Abraham, wie kann das sein?«, keuchte Millepertia. »Ich dachte, du hättest alles getan, um unsere Wege zu verhüllen«.
»Habe ich auch«, gab dieser sichtlich perplex zurück.
Doktor Faust wandte sich nun Barbarossa und seinen Rittern zu. »Die Narren da vorn sind nicht die Einzigen, die Anspruch auf den Orphanus
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