Schwarzer Engel
durch mein Erscheinen schockiert haben, so war ich’s durch ihr Äußeres noch mehr.
Ihr Teint glich zersprungenem Porzellan und war unnatürlich weiß. Ihr zielloser Blick verwirrte mich ebenso wie die Art, in der sie ihre blassen Hände drehte und wie ihr die Haare dreckig und ungepflegt ins Gesicht hingen.
Ich drehte mich um, damit sie meinen Abscheu nicht bemerken konnte. Erst dann entdeckte ich in einer entfernten Ecke eine Frau in der weißen Uniform einer Pflegerin, die an einer Spitzenarbeit häkelte. Sie sah auf und lächelte mir zu.
»Ich heiße Martha Goodman«, informierte sie mich. »Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Miss Casteel. Mr. Tatterton hat mir erzählt, man würde Sie täglich zurückerwarten.«
»Wo ist Mr. Tatterton?«
»Nun, er ist draußen und geht am Strand spazieren«, war die leise Antwort, als ob sie Jillian nicht auf ihre Anwesenheit im Zimmer aufmerksam machen wollte. Sie stand auf, zeigte in die Richtung, und ich drehte mich um, um fortzugehen.
Da sprang Jillian in die Höhe und fing an, sich mit nackten Füßen immer weiter im Kreis zu drehen. »Leigh«, plapperte sie wie ein Kind, »sag Cleave einen Gruß von mir, wenn du ihn das nächste Mal siehst! Sag ihm, manchmal tut es mir leid, daß ich ihn wegen Tony verlassen habe. Tony liebt mich nicht, niemand hat mich je geliebt, jedenfalls nicht genug, nicht einmal du. Du liebst Cleave mehr, du hast es immer getan…
Aber mir ist das egal, völlig egal. Du bist ganz wie er, von mir hast du nur dein Aussehen. Leigh, warum starrst du mich so an? Warum mußt du nur immer alles so verdammt ernst nehmen?« Rückwärts verließ ich das Zimmer, ihr verrücktes Gelächter folgte mir und brachte die Luft zum Zittern.
Als ich endlich die Tür erreicht hatte, konnte ich nicht widerstehen, doch nochmal einen Blick auf sie zu werfen: Das Bogenfenster rahmte sie ein, Sonnenschein strömte durch ihre Haare und ließ ihre schlanke Figur als Silhouette durch den durchsichtigen Stoff ihres langen, losen Kleides scheinen. Sie war alt, aber paradoxerweise wirkte sie auch irgendwie jung, sie war schön und zugleich grotesk, aber vor allem war sie verrückt und deshalb bemitleidenswert. Ich ging mit dem Bewußtsein weg, daß ich sie nie wieder sehen wollte.
Dann schlenderte ich an der felsigen Küste entlang. Troy hatte hier nie neben mir gehen wollen, so sehr fürchtete er das Meer und seine Vorzeichen. Hier lagen Felsen und Steine, die mich überragten, und ein Spaziergang war nicht einfach.
Kieselsteine fielen mir in die Schuhe, so daß ich sie bald auszog. Dann rannte ich los, um Tony einzuholen. Ich hatte vor, nur etwa eine Stunde lang zu bleiben, denn jetzt hatte ich ein Ziel im Kopf.
Die Küste machte eine Biegung und als ich daran vorbei war, stieß ich überraschend auf Tony. Er stand auf einem hohen Felsen und starrte aufs Meer. Es war ziemlich anstrengend hinaufzuklettern, doch dann stand ich neben ihm und erzählte von meinen Plänen. »Du willst also nach Winnerow zurück«, erwiderte er dumpf, ohne den Kopf zu drehen. »Ich habe es immer gewußt, du würdest in diese gottverlassenen Berge zurückgehen. Eigentlich solltest du sie ja so sehr hassen, daß du sie nicht wiedersehen möchtest.«
»Sie sind ein Teil von mir«, gab ich zur Antwort, während ich mir den Schmutz von Füßen und Beinen putzte. »Ich hatte immer vor, zurückzugehen und dort zu unterrichten, in derselben Schule, in der Miss Deale Tom und mich immer unterrichtete. Es gibt nicht viele Lehrer, die diese arme Gegend mögen, deshalb wird man mich nehmen. Außerdem habe ich Gelegenheit, die Tradition fortzusetzen, die Miss Deale eingeführt hatte. Mein Großpapa Toby wartet darauf, daß ich bei ihm wohne, solange ich dort als Lehrerin bin. Und solltest du mich dann immer noch sehen wollen, werde ich eben einige Zeit bei dir verbringen. Nur Jillian möchte ich nie mehr wiedersehen, nie wieder.«
»Heaven«, setzte Tony an, verstummte aber wieder und starrte mich nur noch an. In seinen Augen stand großer Schmerz. Ich versuchte das Mitleid zu ignorieren, das in mir aufstieg, als ich die dunklen Schatten unter seinen Augen bemerkte. Er war dünner geworden und gar nicht mehr elegant gekleidet. Früher hatten seine Hosen immer messerscharfe Bügelfalten, jetzt überhaupt keine mehr. Es war deutlich zu sehen, daß die besten Jahre von Townsend Anthony Tatterton hinter ihm lagen.
Er seufzte, ehe er mich fragte. »Hast du denn nichts darüber in der Zeitung
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