Schwarzer Engel
herumzuwerkeln, obwohl ich mir nicht mehr Zeit als für ein paar zusammengeklappte Sandwiches nehmen kann. Einen festen Zeitplan fürs Essen gibt’s bei mir nicht, ich esse, sobald ich Hunger habe. Leider verbrauche ich die Kalorien fast so schnell wie ich sie reinstopfe, deshalb bin ich ständig hungrig.
Also, Heaven, nach kurzer Bestellung werden wir zwei unser erstes gemeinsames Mahl einnehmen.«
Im gleichen Moment stand in Farthinggale Manor ein Essen bereit, um mir serviert zu werden, aber das alles vergaß ich über dem Spaß, diesen Mann in seine Küche zu begleiten. Sie erinnerte an eine Art Kombüse, wie man sie auf Jachten einbaut, alles in Reichweite und praktisch. Er begann, Türen zu öffnen und rasch Brot und Butter, grünen Salat, Tomaten, Schinken und Käse auf den Tisch zu stellen. Als er beisammen hatte, was er aus den Schränken gewollt hatte, stieß er die Türen mit der Stirn zu, da er beide Hände voll hatte. Aber zuvor konnte ich noch rasch den Schrankinhalt sehen: Jedes Regal war sauber geordnet und voll bis zum Rand. Er besaß hier Essen, daß fünf Casteel-Kindern ein Jahr reichen würde –
wenn sie sparsam essen würden. Meine Mithilfe wollte er nicht und bestand darauf, ich sei sein Gast, solle mich hinsetzen und nichts anderes tun als zu reden, um ihn zu unterhalten.
Während er die Sandwiches zusammenlegte, versuchte er offensichtlich zwei Dinge unter einen Hut zu bringen: Einerseits war er froh, mich hier zu haben, und gleichzeitig unruhig und introvertiert. Mit dem Sprechen hatte ich Schwierigkeiten, deshalb schlug er vor, ich solle den Tisch decken. Das tat ich rasch und benutzte die Gelegenheit, mich intensiver in der Hütte umzusehen. Von innen betrachtet wirkte sie nicht so klein wie von außen. Seitenflügel sprangen vor und führten in weitere Räume. Das Heim eines Mannes, spärlich möbliert. Nach dem Tischdecken fühlte ich mich besser, so wie es mir mit jeder Beschäftigung gegangen war.
Deshalb konnte ich mich umdrehen und ihn ohne Verlegenheit beobachten. Wie merkwürdig es doch war, hier mit ihm zu sein, in einer einsamen Hütte, in die uns Dunkelheit und Nebel einschlossen, als wären wir allein auf der Welt.
»Gnädigste, das Abendessen ist serviert«, rief er scheu und grinste mich an. Er zog einen Stuhl für mich heran, und ich setzte mich, ehe er eine weiße Serviette wegzog und so sechs Sandwiches auf dem Silbertablett präsentierte. Sechs Stück!
Petersilie und Radieschen in Rosenform garnierten das Tablett, in Petersilie-Nestern lagen gepfefferte Eier und rundherum verschiedene Käsestücke und mehrere Sorten Cracker. Dazu noch eine Silberschüssel voll glänzender roter Äpfel. Und das alles, obwohl er doch allein hatte essen wollen? Hinten in den Willies hätten wir eine Woche lang mit all dem Essen leben können, Granny, Großpapa, Tom, Fanny, Keith, ›Unsere‹
Jane… wir alle!
Und dann brachte er noch zwei Weinflaschen, roten und weißen Wein! Den hatte Cal für mich in den tollen Restaurants bestellt, als ich bei ihm und Kitty in Candlewick lebte. Und Wein hatte mir den Kopf verdreht und mich etwas akzeptieren lassen, was ich sonst abgelehnt hätte.
Nein! Noch einen Fehler konnte ich mir nicht leisten! Ich sprang hoch und packte meinen Mantel. »Es tut mir leid, aber ich kann nicht bleiben«, sagte ich. »Du wolltest nicht, daß ich von deiner Anwesenheit erfahre… Deshalb tue ich jetzt so, als ob du nicht hier wärst!«
Wie der Blitz war ich zur Tür hinaus und rannte auf die Hecke zu, in eine fürchterlich kohlrabenschwarze Nacht. Der feuchte Bodennebel wirbelte mir um die Beine, und weit hinter mir hörte ich, wie er meinen Namen schrie.
»Heaven, Heaven!«
Und zum erstenmal in meinem Leben dachte ich: Was für ein merkwürdiger Namen, den meine Mutter für mich gewählt hatte, keine Person, sondern ein Ort – und dann stiegen mir die Tränen in die Augen, und ich weinte, weinte völlig grundlos.
4. KAPITEL
IN GUTEN WIE IN SCHLECHTEN TAGEN
»Ich muß dich warnen«, meinte Tony beim Frühstück am nächsten Morgen, als Jillian immer noch oben schlief. »Das Labyrinth ist gefährlicher als es aussieht. Ich an deiner Stelle würde die Erforschung denen überlassen, die damit mehr Erfahrung haben. Und jetzt mußt du mir von dir selbst erzählen. Auf unserer Fahrt hierher hatte ich gestern den Eindruck, in deinen Augen so etwas wie Zorn zu bemerken.
Warum sahst du jedesmal so empört drein, wenn dein Vater erwähnt wurde?«
»Ich hatte
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