Schwarzer Engel
meinen Gedichten«, erwiderte er mit überraschender Ungeduld. Er stieß das Buch beiseite.
»Aber ich verstehe nicht, was du zu sagen versuchst. Ich spüre, daß hinter allen deinen Worten etwas Morbides und Dunkles liegt, obwohl du sie wunderschön komponierst. Wenn du mir nicht erzählen magst, was deine Gedichte bedeuten, dann überlaß mir dieses Buch, um es so lange zu lesen, bis ich seine Bedeutung begreife.«
»Es wäre klüger, wenn du nicht versuchen würdest, zu verstehen.« Einen Augenblick lang wirkten seine Augen gequält, dann hellten sie sich auf. »Es ist wunderbar, dich hier zu haben, Heaven. Ich gestehe, daß ich meine Einsamkeit hinter meiner Arbeit verstecke. Aber jetzt kann ich es kaum erwarten, bis du auftauchst.«
Weil wir sehr dicht beieinander saßen, legte ich impulsiv den Kopf auf seine Schulter und drehte ihm das Gesicht zu. Meine Lippen warteten sehnlichst auf den ersten Kuß von ihm.
Während ich wartete und wartete, dehnten sich seine Pupillen und wurden dann starr, als er lange so schaute. Dann drehte er sich abrupt um und ließ mich verwirrt zurück.
Ich fühlte mich abgewiesen und fand kurz darauf ein paar fadenscheinige Entschuldigungen: Ich hätte noch Hausaufgaben zu machen. Wieder war ich also am Verlieren!
Nichts konnte ich richtig machen, um irgendeinem Mann genug zu gefallen! Zornig über ihn und noch zorniger über mich selbst kehrte ich nach Farthy zurück, um im warmen Wasser des Hallenbades zu schwimmen. Zwanzig Mal die Längsseite des Pools rauf und dann wieder runter, aber trotzdem konnte ich meinen Zorn nicht fortschwimmen. Ich zog mich an und las vor einem riesigen Kamin, dessen flackerndes Feuer für mich angezündet worden war, solange meine Haare noch naß waren. Ich war so unglücklich! Und das gestattete mir nicht, mich auf die geschriebenen Buchstaben zu konzentrieren.
Um mich herum beobachteten die toten Vorfahren der Tattertons argwöhnisch jede meiner Bewegungen. Ich bildete mir ein, zu hören, wie ihre gemalten Lippen flüsterten, ich würde nicht hierher gehören, warum ich nicht wieder gehen und ihr Ansehen durch mein Casteel-Erbe nicht beflecken würde! Ich wußte, es war albern, aber irgendwie wirkte die Bibliothek mit ihren üppigen Ledersesseln feindlich. Und bevor ich recht wußte, war ich schon vom Fußboden aufgestanden und rannte die Treppe hinauf in die gemütliche familiäre Umgebung meiner eigenen Räume.
Ende März fing der stürmisch kalte Wind an nachzulassen. Der Schnee schmolz, und Anzeichen für den Frühling ließen meine Sehnsucht nach den Willies wachsen.
Tom schrieb und riet mir, die Berge und die Zeit damals zu vergessen. »Bitte, Heaven, verzeihe Pa. Er ist jetzt anders, wie ein neuer Mensch. Und seine Frau hat ihm den dunkelhaarigen, ihm ähnlich schauenden Sohn geschenkt, den Ma immer gewollt hatte und nie bekam.«
Im April konnte ich zum ersten Mal ein Fenster öffnen und dem Geräusch der Brandung zuhören, ohne nervös zu werden.
Logan hatte nicht einmal einen Versuch unternommen, mit mir Kontakt aufzunehmen, und jeden Tag wurde er mehr zu einer bloßen Erinnerung. Trotzdem tat es weh, wirklich weh, wenn ich seinem seltsamen Verhalten mehr als nur einen flüchtigen Gedanken widmete. Ich hatte keine Sehnsucht danach, einen neuen Freund zu suchen, und schlug die meisten Rendezvous aus. Ab und zu ging ich mit einem Jungen ins Kino oder zum Essen, aber unvermeidlich gab er bei mir auf, sobald er begriff, daß nach dem »ersten Schritt« nichts mehr folgte. Ich wollte mich einfach nicht mehr engagieren, nur um wieder verletzt zu werden. Später, später würde ich mir den Kopf über Liebe und Romantik zerbrechen, jetzt war ich damit zufrieden, mich auf meine schulischen Ziele zu konzentrieren.
Der einzige Mann, von dem ich viel sah, und auch der einzige, der Logans Platz in meinem Herzen einnahm, war der Mann, von dem ich mich fernhalten sollte – Troy Tatterton.
Wenigstens einmal pro Woche, sobald Tony und Jillian fort waren, schlüpfte ich hinüber und verbrachte Stunden im Gespräch mit ihm. Es war so ein Vergnügen, jemanden zum Reden zu haben, jemanden, der sich tatsächlich um mich kümmerte und Bescheid wußte, wer ich war.
Unbedingt wollte ich mit Tony über Troy reden, aber es war ein gefährliches Thema, das Tonys Augen sofort mißtrauisch werden ließ. »Ich hoffe bei Gott, du beachtest meine Warnung und hältst dich von meinem Bruder fern. Er wird nie eine Frau glücklich machen können.«
»Warum sagst du
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