Schwarzer Engel
verändert hast«, konstatierte sie, ohne auch nur zu ihm hinzusehen.
»Aber ich bin nicht den ganzen Weg geflogen, um mit einer Familie zu reden, die ich schon kenne.« Wieder musterten mich ihre Augen eindringlich von Kopf bis Fuß. »Ja, Jillian hat recht, das ist Leighs Tochter. An dieser Augenfarbe gibt’s keinen Zweifel – genau wie meine aussahen, bevor mir die Jahre den schönsten Teil meines Äußeren geraubt haben. Und diese Figur ist ganz wie Leighs, wenn sie sie nicht unter irgendeinem formlosen Sack versteckte. Ich begriff nie, wie sie bei solch miserablem Winterwetter so etwas anziehen konnte.«
Ihre schmalen, von Falten umgebenen Augen verengten sich, als sie plötzlich fragte: »Warum ist meine Enkelin so jung gestorben?«
In dem Moment schwebte Jillian die Treppe herab, in ihrem weinroten Kleid sah sie umwerfend schön aus. Bis auf einen reich bestickten Halsausschnitt ähnelte es sehr dem meinen.
»Liebe, liebe Mutter, wie schön dich wiederzusehen. Weißt du überhaupt, daß seit deinem letzten Besuch schon fünf Jahre vergangen sind?« – »Ich hatte auch nicht die Absicht noch einmal zu kommen«, antwortete Jana Jankins, während sie auf ihren Platz gebettet wurde. Troy war so lieb gewesen, mir ihren Namen zu verraten. Während ich Jillian und ihre Mutter beobachtete, konnte ich die feindselige Stimmung zwischen den beiden fast riechen.
»Mutter, als wir von deinem Besuch trotz deines gebrochenen Beines erfahren hatten, war Tony sehr aufmerksam und hat für dich einen wunderbar bequemen Stuhl besorgt, der einmal dem Präsidenten von Sidney Forestry gehört hat.«
»Glaubst du vielleicht, ich setze mich in einen Stuhl, den ein Killer von Bäumen benutzt hat? Und jetzt vergiß dieses Thema, ich möchte mehr über dieses Mädchen hier wissen.«
Und dann bombardierte sie mich schneller als ich antworten konnte mit Fragen: Wie hatte meine Mutter meinen Vater kennengelernt, wo hatten wir gewohnt, und ob mein Vater Geld gehabt hatte? Und ob es auch noch andere Familienmitglieder gäbe, die sie treffen könne.
Die Türklingel rettete mich vor noch mehr Lügen, Tony trat wie ein Dressman aus seinem Büro, und Thanksgiving begann trotz Jana, die es einfach nicht schaffte, jeden zu überschreien.
Zu meinem Entsetzen bemerkte mich Jillian endlich, wie ich still und sittsam und so nahe wie möglich neben Troy saß.
Jillians Augen weiteten sich. »Heaven, wenigstens hättest du mir nicht nachspionieren dürfen, welche Farbe ich bei unserer Einladung tragen würde.«
»Ich gehe und ziehe mich auf der Stelle um!« bot ich an und, obwohl ich dieses Kleid wirklich mochte, war ich drauf und dran, aufzuspringen, um mich so schnell wie möglich umzuziehen.
»Setz dich hin, Heaven«, befahl Tony. »Jillian wird wieder lächerlich. Dein Kleid ist nicht bestickt oder auch nur annähernd so üppig wie das von meiner Frau. Ich mag das Kleid an dir und wünsche, daß du es trägst.«
Es wurde ein seltsames Thanksgiving-Essen. Zuerst mußte Jillians Mutter hereingetragen und ans Ende der Tafel gesetzt werden (auf den Platz der Gastgeberin, da Tonys Stuhl zu nahe an der Wand stand). Und als Jana einmal in die Rolle der Gastgeberin geschlüpft war, gab sie den Ton an und sonst niemand. Meine Urgroßmutter war grob, dominant und völlig ehrlich. Es amüsierte mich, daß Tony und Troy sie offensichtlich mochten. Trotzdem war es ein ermüdendes Mahl, ein erschöpfender Abend, an dem ich mit tausend Fragen geplagt wurde, die ich nur mit Lügen beantworten konnte. Auf Janas Frage, wie lange ich denn in Farthinggale Manor bleiben würde, wußte ich keine Antwort. Hoffnungsvoll sah ich zu Tony und bemerkte neben ihm Jillians versteinerte Miene. Auf halbem Weg zum Mund hielt sie ihre Gabel inne, drehte sich zu Tony und starrte ihn an, während er mich erlöste.
»Heaven kam, um so lange, wie sie möchte, zu bleiben«, verkündete er, indem er zuerst mich anlächelte und sich dann mit einer gebieterischen Bewegung Jillian zuwandte. »Sie hat schon mit der Schule in Winterhaven angefangen und hat tatsächlich ihre Aufnahmeprüfungen so toll bestanden, daß sie eine Klasse höher als ihre Altersgenossinnen eintrat.
Außerdem haben wir uns schon für Radcliffe und Williams beworben, damit sie für ein erstklassiges College nicht zu weit wegfahren muß. Wir beide sind so glücklich, Heaven hier zu haben, es ist, als ob ein Stück von Leigh endlich zu uns zurückgekommen ist, stimmt’s Jill?«
Während seiner kleinen
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