Schwarzer Koks (German Edition)
Lederkoffer.
»Wo haben Sie denn den gefunden?«, fragte Nathan.
Der Polizist wies auf ein großes Loch in der Wand.
»Gib doch mal die Taschenlampe«, sagte Nathan zu Steve.
Er spähte hinein. Jemand hatte Ziegel herausgenommen und eine tiefe Höhle in die Erde gegraben. Es war praktisch ein kleiner Raum; Boden und Wände waren klebrig und feucht. Und kalt.
Nathan leuchtete den Boden ab, die Decke, dann nach rechts, dann nach links. Auf der einen Seite stapelten sich Ziegel. Mäuse huschten davon. In einer Ecke lag ein Haufen brauner Decken auf einer Matratze, auf dem Boden Spritzen, Crackpfeifen und leere Weinflaschen. Sollte das eine Art Versteck sein? Ein Loch, in das Junkies sich verkrochen, um sich bis zur Bewusstlosigkeit mit schwarzem Koks vollzuknallen?
Nathan stieg hinein. Der Fäulnisgestank war geradezu überwältigend. Auf einem Erdpodest stand eine Kommode. Er hatte sie von außen nicht gesehen, weil sie rechts der Öffnung im Dunkeln stand. Er zog die oberste Schublade auf. Sie klemmte. Erst mit einem Ruck bekam er sie auf. Sie war leer. In der zweiten lag eine kaputte Taschenlampe, in der dritten einige zerrissene T-Shirts, Hosen, Unterwäsche.
»Was gefunden?«, rief Steve durch das Loch herein.
»Was schreist du denn? Ich bin doch hier.«
»Sorry.«
»Nur das antiquarische Stück hier. Sieht so aus, als hätten hier ein paar Typen gehaust.« Er ging die Klamotten durch. »Ach, guck mal, eine Glock und etwas schwarzer Koks. Hier, fang.«
Steve fing die Waffe geschickt auf, dann den Beutel mit dem Pulver.
»Ist halb leer«, sagte er, nachdem er den Beutel in Augenschein genommen hatte. »Muss etwa ein Viertel Kilo gewesen sein. Wer immer da drin gehaust hat, der war voll drauf.«
»Und hat den Koffer mit dem Schotter bewacht.«
»Was ist denn das da drüben?«
»Decken«, sagte Nathan. »Ich denke mal, der hat hier gepennt.«
»Aber da ist doch was drunter.«
»Ach was.«
»Schau doch nach.«
»Okay.« Nathan hob die oberste Decke an. Sie war klebrig und schwer. Darunter gingen weitere Decken her. Sie waren zerschlissen und stanken verfault. Er zog sie ab wie Schichten sonnenverbrannter Haut. Es war noch was darunter. Nathan zog die letzte Decke weg.
Er taumelte zurück. Glasige Augen in einem ausgemergelten Gesicht reflektierten den Schein seiner Taschenlampe. Die Leiche war praktisch ein Skelett; wie zerrissene Vorhänge hing die Haut von den Schultern.
»Was ist es denn?«, fragte Steve.
Nathan beugte sich vor. Ellenbogen, Knie und Schultergelenke waren knotig und knorrig wie Borke und voll schwarzer Streifen. Auf den Augen entdeckte er große schwarze Flecken und die Ohrläppchen waren dunkelblau.
»Nathan?«
»Wir brauchen die Spurensicherung. Ich habe hier eine Leiche.«
Kapitel 15
North London, England
8. April 2011
»Warum habt ihr ihn laufen lassen?«, fuhr Cedric ihn am Telefon an.
Nathan knallte die Tür zu dem kleinen Büro zu, das man ihnen in der Polizeiwache in Islington zugewiesen hatte. Es war kaum größer als eine Besenkammer. Es gab zwei Stühle mit Metallgestell und einen ramponierten Holztisch, der eines fehlenden Beins wegen gegen die Wand gerückt war.
»Wir haben ihn nicht
laufen
lassen.« Nathan hob eine Kaffeetasse voll Schimmel vom Boden auf und stellte sie auf den Tisch. »Er ist uns entwischt.«
»Und wieso habt ihr ihn entwischen lassen?«
»Ist ja nicht so, dass wir das absichtlich gemacht hätten.«
»Ich möchte, dass er morgen bis Dienstschluss in Gewahrsam ist.«
Cedric legte auf. Nathan seufzte. Es sah Cedric gar nicht ähnlich, die Beherrschung zu verlieren. Vermutlich hatte er wieder Ärger mit George. Nathan drehte einen Plastikkugelschreiber zwischen den Fingern und starrte dabei aus dem Fenster auf die Bäume davor hinaus. Ein paar Dealer und eine Handvoll Süchtiger in einem Crackhaus zu schnappen, würde sie nicht weiterbringen. Er musste an die Spitze der Kette gelangen, zu Amonite und dem großen Boss über ihr. Aber wie?
Er ging in Gedanken alles durch, was er über den internationalen Drogenschmuggel wusste. Seit dem Ende der großen Kartelle in den 1990ern waren die Drogenschmuggler von den großen zentral geführten Organisationen abgerückt und zu kleinen dezentralen Netzen übergegangen, die viel schwieriger zu infiltrieren waren. Die einzelnen Aspekte des Geschäfts – Transport, Distribution, Finanzen – teilten sie auf. Wettbewerb innerhalb der einzelnen Sparten – Bauern, Kuriere, Großhändler, Dealer –
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