Schwarzer Koks (German Edition)
weg. Er schwang den Rucksack über die Schulter und machte sich auf den Weg in die Lobby. Wieder ging er sein Handy durch. Dann blieb er stehen. Jemand beobachtete ihn. Er konnte es spüren. Er ging weiter, um eine Ecke, einige Stufen hinauf, warf einen Blick in den Eingangsbereich. Studenten schoben sich an ihm vorbei, völlig sorglos.
Er ging zurück an seinen Platz im Lesesaal. Die Bücher waren verschwunden.
Nathan sah unter den Tisch. Warf dann einen Blick über die anderen Tische. Sie waren leer.
Er ging nach vorne zu dem Bibliothekar, der mit einer jungen Studentin in engen Jeans plauderte. Die Studentin ging, gefolgt vom Blick des Bibliothekars.
»Meine Sachen«, sagte Nathan. »Sie sind nicht mehr da?«
»Wie bitte?«
»Meine Bücher. Wo sind die denn?«
Der Bibliothekar schob die Unterlippe vor. »Ich weiß es nicht.«
»Sie waren auf meinem Tisch.«
»Sie sollten sie nicht einfach liegen lassen.«
»Haben Sie sie jemanden nehmen sehen?«
»Studenten, denen kann man heute einfach nicht trauen.« Der Bibliothekar widmete sich wieder den Büchern, die er in ein Regal packte.
Nathan ballte die Faust. Er ging wieder an seinen Tisch. Er wollte sich eben setzen, als er ein Blatt Papier auf seinem Stuhl sah. Er sah sich um. Keiner der über den Saal verstreuten Studenten beachtete ihn. Niemand huschte davon. Der Bibliothekar sortierte weiter Bücher ein.
Nathan nahm das Blatt Papier auf, drehte es um. Es war ein Foto von Caitlin.
Kapitel 24
North London, England
11. April 2011
Caitlin ging nicht ans Telefon.
Es regnete. Nathan raste die Straße lang in Richtung seines Apartmentblocks. Keuchend erreichte er ihn und lief hinauf in den zweiten Stock. Seine Wohnungstür stand offen. Er griff nach der Waffe in seiner Jackentasche, nahm sie aber nicht heraus. Er glitt an die Tür. All die Müdigkeit der letzten Tage war wie weggewischt. Er drückte sich flach gegen die Wand und wartete. Lauschte. Sachte stieß er die Tür auf. Er fuhr herum und trat in die Diele, ging in die Hocke, die Waffe im Anschlag. Die Lichter brannten. Er trat ins Wohnzimmer. Die Tür stand offen. Er spähte hinein.
Eine Schreibtischlampe lag auf dem Boden. Kaputt. Der Fernseher war zerschlagen.
Das Sofa war leer.
Nathans Herz schlug wie ein Presslufthammer. Er rannte die Diele hinauf in Caitlins Zimmer. Kleidung, Magazine, Laken, alles lag wüst durcheinander. Diverse Fläschchen mit der neuen Badelotion ihres Arbeitgebers lagen über den Teppich verstreut. Er ging zum Bad. Die Tür war verschlossen. Er trat dagegen. Sie flog aus den Angeln und knallte gegen die Wand.
Einen Augenblick dachte er, die Wanne wäre voll roter Lotion.
Aber er wusste, dass dem nicht so war.
In der Wanne lag, wie im Schlaf, Caitlin, ein Arm hing über den Rand. Ihre Hand war blass, sie hatte nicht die Spur von Farbe auf ihren ansonsten immer so rosigen Wangen. Das klatschnasse Haar klebte ihr wie Seetang am Kopf. Ihre kristallblauen Augen hinter den Strähnen im Gesicht standen weit offen. Sie starrten gegen die Decke. Ihr Kopf war leicht nach hinten gelegt, schlaff, voll Prellungen, ihre Unterlippe stand vor, als würde sie wieder mal eine Schippe ziehen.
Nathan begannen die Beine zu zittern. Er griff nach dem Duschvorhang. Der löste sich von der Stange, ein Ring nach dem anderen, langsam, teilnahmslos, als Nathan auf den nassen Fliesen zusammenbrach, legte sich ihm dann über die Schultern wie zum Trost. Nach einer Weile richtete er den Blick wieder auf Caitlin. Ein tiefer Schnitt zog sich über ihren Hals, von einem Ohr zum anderen, ein unsauber gezogener roter Strich, aus dem noch immer Blut in die Wanne lief. Das Wasser rund um sie war dunkelrot; wie Tentakeln breiteten die Blutschlieren sich in der Wanne aus.
Nathan wandte sich ab und übergab sich.
Kapitel 25
North London, England
11. April 2011
Nathan kam wankend auf die Beine. Er konnte den Anblick der entstellten Leiche in der Wanne nicht länger ertragen. Er wischte sich mit dem Ärmel über den Mund und taumelte ins Wohnzimmer. Seine Beine zitterten so sehr, dass sie ihn kaum tragen wollten. Er kam sich vor wie in einem Traum. Seine Augen wollten sich nicht mehr scharf stellen lassen. Sein ganzer Körper war taub. Er übergab sich ein weiteres Mal, diesmal über die Scherben auf dem Teppich. Er sank auf das Sofa.
Seine einzige Schwester. Tot.
Sie mussten Caitlin seit Tagen verfolgt haben. Sie waren ihm in die Bibliothek gefolgt. Wahrscheinlich warteten sie draußen, um sich
Weitere Kostenlose Bücher